Seitdem die völkisch-nationalistische AfD seit der Wahl im vergangenen September des letzten Jahres erstmalig im Bundestag vertreten ist, hat sich der Ton im Parlament deutlich gewandelt. Gezielte Tabubrüche, extrem rechte Hetze, Rassismus und der Gebrauch von Nazivokabular gehören mittlerweile zum Alltag im vermeintlich „Hohen Haus“. Kaum ein Tag vergeht, an dem die AfD nicht zum Angriff auf vermeintliche politische Korrektheit oder die Erinnerungskultur bläst. Keineswegs ist der Thüringer AfD-Landtagsfraktionschef Björn Höcke ein Einzelfall, wenn er das Denkmal für die ermordeten Juden als „Denkmal der Schande“ diffamiert.
Eine Partei, die ein Ende der Erinnerungskultur fordert, will künftig das offizielle Gedenken an den Holocaust in diesem Land mitbestimmen. Wir müssen uns argumentativ damit auseinandersetzen, denn der Umgang mit der deutschen Geschichte kann nicht von der AfD instrumentalisiert werden. Eine Nation kann ein positives Bild von sich selbst gewinnen, wenn sich Rechenschaft gegeben wird, auch und besonders für entsetzliche Verbrechen. Der Wunsch, endlich aufzuhören mit dem Erinnern an den Holocaust, wird gefördert, wenn dies als schlechtes Gewissen bezeichnet wird, das nicht weiter gepflegt werden müsse. Es gilt zu betonen, dass Erinnern ein Prozess ist, der zeigt, dass sich Einstellungen verändern können. Es gibt aber Gefahren: Neben dem Unbehagen von rechts, das sie am liebsten abschaffen möchte, droht auch ein Versiegen einer Ressource, die diese Erinnerungskultur in Gang hält in Form eines ehrenamtlichen Engagements, das weitgehend in den Händen der 68er-Generation lag. Für diese war Holocaust-Gedenken so etwas wie eine historische Mission. Diese Gefahr ist vielleicht größer als der lautstarke Ansturm der AfD, obwohl dieser Kübel Dreck ständig abgewiesen werden muss.
Eine wichtige weitere Aufgabe ist, die Erinnerungskultur nicht zu ethnisieren. Die Familienbande werden nach dem nächsten Generationenwechsel eine geringere Rolle spielen. Das Holocaust-Gedenken hat sich weiterentwickelt. Die Erinnerung ist in Deutschland mit einem ethischen Imperativ verbunden: Nie wieder darf so etwas passieren! Für die Einwanderer gibt es aber auch den direkten Weg der Empathie: Sie können sich für die Geschichten der Opfer interessieren und auch mit ihnen identifizieren. Ein türkischstämmiger junger Menschen kann doch erkennen, das die Erinnerung an den Holocaust für ihn prägend ist und er kann deshalb den Vater nicht verstehen, der den türkischen Genozid an den Armeniern leugnet. Auch das wäre ein Beispiel für eine positive Integration in die deutsche Erinnerungskultur.
Erst im Februar holte der fraktionslose baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon zum Schlag gegen die Verlegung sogenannter Stolpersteine aus, die an Opfer des Naziregimes erinnern sollen. „Mit ihren Aktionen versuchen die Stolperstein-Initiatoren ihren Mitmenschen eine bestimmte Erinnerungskultur aufzuzwingen und ihnen vorzuschreiben, wie sie wann wessen zu gedenken hätten. Wer gibt diesen oft sehr penetranten Moralisten das Recht dazu? Es geht nicht nur um eine Inflationierung von Gedenken, sondern auch darum, dass hier aus Erinnerungskultur immer mehr Erinnerungsdiktatur wird. Das sollte man nicht weiter unterstützen!“, schrieb Gedeon, der trotz seiner Fraktionslosigkeit noch immer Mitglied der AfD ist und in der Vergangenheit durch antisemitische Tiraden auffiel.
Zwar gingen Teile der AfD auf Distanz zu Gedeon, dafür fielen andere Abgeordnete im Bundestag jedoch Ende Februar im Rahmen einer sogenannten Aktuellen Stunde auf.
Für die AfD fasste deren Abgeordneter Marc Jongen zusammen, was die politische und die extreme Rechte schon immer an der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik auszusetzen hatten. „Wir brauchen eine würdige Erinnerung an die fürchterlichen Gräueltaten der Nazis – ja; aber die kann nicht gleichbedeutend sein mit der Kultivierung eines Schuldkomplexes, der das Land wehrlos macht gegen jede Beleidigung, jede Vergewaltigung und jede Überrollung.“
Dann geriet Gauland selbst einmal mehr in die Schlagzeilen. So wurde bekannt, dass einer seiner ehemaligen Mitarbeiter in der neofaschistischen „Heimattreuen Jugend Deutschlands“ (HDJ) aktiv war. Gauland behauptete, der habe nichts davon gewusst. Besagter Mitarbeiter habe von Oktober 2017 bis Ende Januar 2018 in seinem Bundestagsbüro gearbeitet und sei mittlerweile aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, da er einen neuen Job angetreten habe.
Sowohl das Personal als auch die zunehmenden gezielten Entgleisungen und steten Tabubrüche der AfD bleiben am Ende keineswegs wirkungs- und folgenlos. Schon heute trauen sich immer mehr extreme Rechte aus den Löchern und formulieren offen, was sie sich vor Jahren bestenfalls hinter vorgehaltener Hand zu sagen getraut hätten. Selbst AfD-Rechtsaußen wie der nunmehr ehemalige AfD-Fraktionschef von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, der türkischstämmige Bürger beim politischen Aschermittwoch als „Kümmelhändler“ und „Kameltreiber“ diffamiert hatte, bleiben unbehelligt.
Ein Mittel dagegen ist die Skandalisierung. In dem Moment, wenn Nazi-Begriffe verwendet werden und es einen öffentlichen Aufschrei gibt, wird ein Bewusstsein geschaffen. Und Leute die das vorher nicht wussten, merken: Das sollte ich vielleicht nicht benutzen, denn das will Erinnern umöglich machen.