Zum Kampf um die Ausbildung

Abwarten?

Tim Laumann

Ein alter Zusteller, noch zu Bundespost-Zeiten eingestellt, ist empört. Gerade hatte er gehört, dass es einen Einstellungsstopp für die neuen Zustell-Azubis geben sollte. Er versichert: „Wenn was kommt, sag Bescheid – da muss man was machen!“ In der Montagszustellung hat man Zeit, sich zu bereden. Die Kolleginnen und Kollegen stimmen dem alten Zusteller zu.

Die Jüngeren fühlen sich dagegen weniger angegriffen. Sie haben ihr Berufsbild nur so kennen gelernt: Entwertet auf die Tätigkeit einer „angelernten Kraft“. Wenn sie dennoch zustimmen, dann aus gewerkschaftlichem Bewusstsein oder individueller Solidarität mit dem Agitator. Die älteren Kollegen sind deutlich erkennbar erregter. Ihre längere Ausbildung, ihre entsprechend höhere Qualifikation, ihr Berufsethos – all das wird mit Füßen getreten.

So sieht es in vielen Zustellstützpunkten aus. Die Solidarität der Kolleginnen und Kollegen ist vorhanden, aus den unterschiedlichsten Gründen und in unterschiedlichen Formen. Sie warten auf einen Aktionsaufruf, sie warten auf die Gewerkschaft, sie warten auf ein Zeichen aus Berlin, konkreter: vom Paula-Thiede-Ufer, wo sich die ver.di-Zentrale befindet.

Stattdessen herrscht Schweigen im Walde. Nur dort, wo gewerkschaftlich Organisierte den Kontakt mit den Interessenvertretungsgremien aufgebaut haben, sich JAVen zum Beispiel mit den Azubis unterhalten, wird überhaupt über die Auseinandersetzung um die neue Ausbildungsordnung berichtet.

„Wenn da was läuft – sag Bescheid“ ist in der Tat eine problematische Haltung, sie wartet auf das Zeichen „von oben“. Bei einer Auseinandersetzung in einem bundesweit agierenden Konzern hat das eine gewisse Logik – gleichzeitig wird so jedoch keine eigene Verantwortung wahrgenommen, nicht eigenständig agiert.

Ein Grund für diese Haltung ist die schlechte Organisation und Mobilisierbarkeit. Die derzeitigen Azubis sind nicht unmittelbar betroffen, sie müssten überzeugt werden, um das Problem zu erkennen. An ihre Ausbilder – häufig Beamte oder Bundespostler mit hohem Berufsethos, die also das Problem erkennen würden – ist ver.di bisher nicht herangetreten. Es fehlt die Idee, wie das Berufsethos für eine gewerkschaftliche Mobilisierung genutzt werden kann, wie zum Beispiel bei den Pflegekräften geschehen. Es fehlt die Initiative, solche Gespräche anzuregen und häufig auch die Kraft, so etwas zu tun. In vielen Niederlassungen sind drei JAVis für bis zu 50 Auszubildende zuständig, Jugend-Vertrauensleutekörper gibt es kaum, selten aktive junge Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Die JAVis, selbst wenn sie diese Ideen hätten, stünden allein.

Die Vertrauensleute-Arbeit selbst wurde von Gewerkschaftsseite unter Corona-Bedingungen auf Eis gelegt. Ohnehin werden Vertrauensleutestrukturen zu selten regelmäßig gewählt oder gar zur konkreten gewerkschaftlichen Arbeit angeleitet. Auch hier sind also – trotz engagierter Leute in den einzelnen Zustellstützpunkten – derzeit keine großen Aktionen planbar.

Dass dann auch noch von zentraler Seite nichts kommt, gibt zu denken. Schon seit langem gibt es regelmäßig Auseinandersetzungen um die Zusteller-Azubis. Der Post ist diese Ausbildung scheinbar schon länger zu teuer, angelernte Kräfte sind billiger und können durch umfangreiche Befristungen ja auch ausreichend „ausgetestet“ werden. Hier wird durch die Erhöhung des Anteils der angelernten Kräfte die Abwertung des Berufes weiter vorangetrieben, ein ständiger Konfliktherd.

Diesen Konflikt auszufechten, dazu bedürfte es einer ständigen Mobilisierung und früher Aufklärung vor allem unter den Azubis. Doch innerhalb unserer Gewerkschaft scheint es Kräfte zu geben, die bereit sind, die Ausbildung für Fachkräfte Kurier-, Express- und Postdienstleistungen (FKEP) auf dem Altar der Sozialpartnerschaft zu opfern. Dagegen müssen wir von unten mobilisieren, wenn von oben nichts kommt. Auch dann, wenn wir derzeit noch zu wenig aktions- und mobilisierungsfähig sind und dringend Unterstützung aus der Zentrale bräuchten.

Gute Beispiele gibt es dort, wo ver.di-Betriebsgruppen in enger Zusammenarbeit mit den JAVen Plakate drucken und Petitionen starten.

Es rettet uns kein höh‘res Wesen – auch nicht das Paula-Thiede-Ufer.

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"Abwarten?", UZ vom 9. Juli 2021



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