Monatelang wurde vor der zweiten Welle gewarnt; ebenso lange wurde ihr Kommen von der herrschenden Politik ignoriert. Die Schülerinnen und Schüler sitzen noch genauso dicht in den Klassen wie zu Jahresbeginn. Dafür sind die Theater und Museen, die im Gegensatz zu den Schulen über wirksame Schutzmaßnahmen verfügen, geschlossen. Der Bettenabbau in den Krankenhäusern bleibt die zentrale gesundheitspolitische Maxime, während die Intensivstationen vollzulaufen drohen. In den Fabriken rauchen die Schornsteine, in den Schlachthöfen wird weiter unter den übelsten Bedingungen ausgebeutet. Der Kneipenbesuch nach Feierabend ist den Arbeitenden jedoch versagt.
Nein, hier wird nicht gejammert. Wenn es notwendig ist, die Bars zu schließen, dann sollen sie geschlossen sein. Doch warum läuft dort, wo die großen Gewinne erwirtschaftet werden, noch immer alles nach Schema F? Kapitalistische Krisenpolitik heißt Abwälzung. Abwälzung der Verantwortung, wenn unser Freizeitverhalten zum alleinigen Mittelpunkt des Infektionsgeschehens gemacht wird. Abwälzung der Kosten, wenn Konzernprofite unangetastet bleiben, während Kulturschaffende und Lohnabhängige die Zeche zahlen. Abwälzung der Risiken, wenn es in vielen Sozial- und Gesundheitseinrichtungen noch immer an Schutzkleidung, Personal und Ausrüstung mangelt.
Verantwortung, Kosten und Risiken werden auch bei den Kommunen abgeladen. Zum Beispiel bei den Gesundheitsämtern, die inzwischen die Kontrolle verlieren. Das beweisen nicht nur die mittlerweile 4.000 Soldaten, die „Amtshilfe“ leisten und davon zeugen, wie schnell systemrelevante Bedrohungen zum Einsatz des Militärs im Inneren führen. Viele Ansteckungen lassen sich trotzdem nicht mehr zurückverfolgen. Es hätte einer langfristigen Strategie und einer größeren Zahl von Neueinstellungen bedurft. Doch mit welchen Mitteln?
Allein im ersten Halbjahr 2020 haben die Kommunen ein Defizit von 10 Milliarden Euro eingefahren. Für das Jahr 2021 wird ein Steuerrückgang in gleicher Höhe prognostiziert. Hinzu kommen steigende Sozialausgaben im Zuge des weiteren Krisenverlaufs. Ob im Nahverkehr, in den Kultureinrichtungen, bei der Kinderbetreuung oder in den Schwimmbädern: Überall brechen die Einnahmen weg. Dagegen ist das Hilfspaket der Bundesregierung völlig unzureichend. Die Gewerbesteuerverluste sollen nur im Jahr 2020 kompensiert werden (veranschlagt sind 11,8 Milliarden Euro). Darüber hinaus wird dauerhaft ein größerer Anteil der SGB-II-Unterkunftskosten vom Bund übernommen (circa 3,4 Milliarden Euro). Im Gegenzug wurden sämtliche Überlegungen, die Altschuldenproblematik der Kommunen mit Bundesgeld zu lösen, ad acta gelegt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion vom 20. Oktober hervor. Der gleichen Quelle lässt sich entnehmen, dass es seitens der Bundesregierung keine Absichten gibt, die Steuerverluste der Kommunen im nächsten Jahr zu kompensieren.
Noch im Juli urteilte das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Gemeindefinanzen, dass „eine sogenannte freie Spitze verbleiben muss, soll die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nicht ausgehöhlt werden“. Davon kann in den kommenden Jahre keine Rede mehr sein. Die Bundesregierung sieht die Selbstverwaltung dennoch „nicht gefährdet“ und verweist auf die Verantwortung der Länder für die „Stabilisierung der Einnahmesituation der Kommunen in der derzeitigen Krise“. Der schwarze Peter liegt also bei den Landesregierungen, die ihrerseits Chaos und verworrene Anordnungen produzieren. Niemand garantiert derzeit den Erhalt der kommunalen Infrastruktur oder der Selbstverwaltung. Diese Form der Abwälzung wird noch gefährlich werden, wenn kommunale Jahrhundertaufgaben wie die Verkehrswende auf der Strecke bleiben und soziale Leistungen eingespart werden.