Zu den Perspektiven Geflüchteter auf dem deutschen Arbeitsmarkt

Abschiebung oder Leiharbeit

Von Philipp Kissel

Anfang des Jahres sollte die 16-jährige Sadaf Amiri mit ihrer Familie nach Afghanistan abgeschoben werden. Sie macht eine Ausbildung als Bauzeichnerin und ist Schülerin der Philipp-Holzmann-Schule in Frankfurt/Main. Als ihre Mitschüler und Lehrer von der drohenden Abschiebung erfuhren, starteten sie eine Protest-Kampagne, die schließlich die Abschiebung verhindern konnte. Anfang Juni sorgte der Protest gegen eine Abschiebung eines Berufsschülers in Nürnberg und vor allem der brutale Polizeieinsatz gegen die Mitschüler, die sich der Abschiebung in den Weg gestellt hatten, für Aufsehen.

An zahlreichen Berufsschulen in Deutschland ist die Abschiebung von Geflüchteten Thema, ebenso wie in Betrieben. Ein starkes Zeichen setzten die 220 Kollegen der Firma Strasser, die im September letzten Jahres gegen die Abschiebung ihres afghanischen Kollegen Tavus Qurban. Ihm wurde vorgeworfen, keinen Pass vorzulegen und damit nicht an der „Aufenthaltsbeendigung“ mitzuwirken.

Seit 2015 dürfen Asylbewerber, die im Verfahren sind oder deren Antrag abgelehnt wurde und die eine Duldung bekommen haben, arbeiten. Vorher muss geprüft werden, ob ein Deutscher den Job machen könnte. Die Arbeitserlaubnis wird für die Flüchtlinge verweigert, die in einer Aufnahmeeinrichtung leben müssen und für diejenigen, die keine Dokumente vorlegen, die zu ihrer Abschiebung nötig sind. Für die Geflüchteten sind dies besonders schlechte Bedingungen, um ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die Unternehmer freut dies und erklärt die ach so menschlich klingenden Verlautbarungen der Kapitalverbände. Da nur 20 Prozent der deutschen Betriebe überhaupt Ausbildungsbetriebe sind und nur 12 Prozent sich „vorstellen könnten“, Geflüchtete auszubilden, werden die meisten auf einfache Tätigkeiten angewiesen sein, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit ergeben hat.

Darüber freut sich besonders eine Branche: Die der „Arbeitnehmerüberlassung“, also der Leiharbeit. Der IAB-Kurzbericht 14/2017 hat die Stellenerhebung 2016 ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass 10 Prozent aller Betriebe in Deutschland Erfahrung mit Geflüchteten gesammelt hat, also eine Bewerbung erhalten hat oder ein Vorstellungsgespräch geführt hat oder eingestellt hat. 3,5 Prozent der Betriebe hatten bereits einen Flüchtling eingestellt.

Der Blick auf die Branchen zeigt, welche Perspektiven der deutsche Arbeitsmarkt zu bieten hat. Nummer eins ist die Leiharbeit mit 25 Prozent Betrieben, die Erfahrung mit Geflüchteten gesammelt hat, darauf folgt mit 15 Prozent das Gastgewerbe und „Erziehung und Unterricht“ und mit 13 Prozent die Metallindustrie. Da die meisten Leiharbeiter in der Metall- und Elektroindustrie eingesetzt sind, dürfte das auch für die Geflüchteten zutreffen. Dafür spricht auch, dass 33 Prozent der großen Betriebe mit mehr als 500 Arbeitern Erfahrung mit Geflüchteten gesammelt haben, aber nur 18 Prozent der kleinen Betriebe mit 20 bis 50 Arbeitern. Auch bei den Einstellungen liegen die großen Betriebe mit 17 Prozent vorne.

Gesetzlich dürfen nur Geflüchtete, die eine Aufenthaltsgestattung oder Duldung haben und sich bereits länger als 15 Monate in Deutschland aufhalten, als Leiharbeiter eingestellt werden. Wie bei allen anderen denen Leiharbeit droht, macht das niemand freiwillig. Geflüchtete mit Duldung bekommen zwar eine Arbeitserlaubnis, aber keine Förderung für Deutschkurse. In der Leiharbeit üben nach einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ) rund 60 Prozent der Leiharbeiter Anlern- und Hilfstätigkeiten aus. Da der Asylantrag vieler Geflüchteter aus Afghanistan abgelehnt wird und sie mit einer Duldung leben müssen, werden vor allem viele afghanische junge Menschen davon betroffen sein. Auch aus Syrien und Irak erhalten viele nur einen befristeten subsidiären Schutz, also kein Asyl und sind damit dem Risiko ausgesetzt, irgendwann diesen Status aberkannt zu bekommen und ausgewiesen zu werden.

Von der „3+2“-Regelung, die für drei Jahre Ausbildung und zwei Jahre Beschäftigung Abschiebeschutz geben soll, werden also nur wenige etwas haben und die Erfahrung hat gezeigt, dass trotz dieser Regelung Schüler aus Betrieb oder Schule abgeschoben werden.

Die Studie des IAQ hat erneut ergeben, dass zwar zwei Drittel der Leiharbeiter vorher arbeitslos waren, aber nur eine verschwindend kleine Zahl danach einen festen Job bekommen. Denn wer eventuell zuvor eine Ausbildung hatte, dessen Arbeitskraft wird durch die Leiharbeit entwertet. Sie ist also kein Sprungbrett oder Einstieg, sondern einfach nur eine besonders lukrative Ausbeutung besonders beweglicher und erpressbarer Arbeitskräfte.

In Frankfurt hat sich an der Philipp-Holzmann-Schule eine Flüchtlings-AG gebildet, die zu allen von Abschiebung bedrohten Schülern Kontakt aufnehmen will und ihnen mit Kontakten zu Flüchtlingsinitiativen, Anwaltskanzleien und Betreuern zu helfen und Abschiebungen zu verhindern. Es dürften in vielen Berufsschulen viele Schüler geben, denen so etwas helfen würde.

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"Abschiebung oder Leiharbeit", UZ vom 7. Juli 2017



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