Von Gipfel zu Gipfel: Auch der Migrationsgipfel wird den Menschen nicht helfen

Abschieben und spalten

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat für den 16. Februar zum „Migrationsgipfel“ geladen (nach Redaktionsschluss). Vor einer Woche trafen sich in Brüssel die Vertreter der 27 EU-Mitgliedstaaten zum gleichen Thema. Von Integrationsprogrammen keine Rede, wortgewaltig aber die Rufe nach stärkerer Abschottung der EU, schnelleren Abschiebungen und effektiver Sicherung der EU-Außengrenzen. Österreichs Kanzler Karl Nehammer („Das Asylsystem ist kaputt“) drohte gar mit dem Ausstieg der Alpenrepublik aus bisherigen Beschlüssen, sollte die EU nicht unverzüglich Millionen Euro für den Bau von Grenzzäunen und den Erwerb von Überwachungsdrohnen freigeben. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, die vormittags bei der persönlichen Audienz dem ukrainischen Präsidenten weitere 18 Milliarden Euro Hilfszahlungen zusagte („Lieber Wolodymyr, Sie kämpfen für die Achtung unserer gemeinsamen Werte“), bewies nachmittags, wie es um die „Werte“ der EU-Migrationspolitik künftig bestellt ist: Abschreckung an den Außengrenzen und „irreguläre Migration verhindern“. Thematisch waren damit die Weichen für den Berliner „Migrationsgipfel“ gestellt.

Der frisch ins Amt gehobene Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Stamp, Mitglied der „Rechtsstaatspartei“ FDP, meldete sich dieser Tage bereits mit dem Vorschlag, Asylbewerber in nordafrikanische Lager ausfliegen zu lassen, um – ähnlich wie die Briten in Ruanda – fernab von Europa das Asylverfahren durchführen zu lassen. Bürgermeister und Landräte aus Nancy Faesers Heimatwahlkreis in Südhessen schrieben ihr einen Brandbrief: Die Unterzeichner fordern Finanzmittel vom Bund, schnelle Abschiebungen und eine „Prüfung, wer unserer Hilfe bedarf und wer nicht!“. Die Stimmung ist gereizt. Geldmittel für die Versorgung der Flüchtlinge mit Wohnraum, Deutschkursen, Kita- und Schulplätzen sind nicht mehr verfügbar, Städte und Gemeinden sind finanziell am Limit. Tragfähige Konzepte fehlen heute genauso wie sie 2015 fehlten, so soll es – wie damals auch – ein Gipfel richten.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte in der vergangenen Woche die Forderungen der Kommunen nach mehr Geld aus dem Bundesetat ins Reich der Fantasie verwiesen: Die „Mittel des Bundes sind limitiert“. Schließlich habe der Bund seit März 2022 sein milliardenschweres Prestigeprojekt, die finanzielle Absicherung der 1.062.048 ukrainischen Flüchtlinge durch Eingliederung in das Hartz-IV- beziehungsweise Bürgergeldsystem allein gestemmt. Für Menschen aus der Ukraine aktivierte die EU am 3. März 2022 erstmals die seit 2001 ungenutzt in der Schublade liegende „Massenzustromrichtlinie“. Diese enthält Mindestnormen des Schutzes und der sozialen Sicherung, die für die anderen circa 140.000 Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder den Kurdengebieten in der Türkei und dem Irak nicht gelten: Während Letztere eine Grundversorgung von 367 Euro monatlich beziehen, erhalten ukrainische Staatsangehörige 502 Euro Bürgergeld. Unmittelbar nach Registrierung gibt es einen Aufenthaltstitel samt Arbeitserlaubnis oben drauf. Die so vollzogene Spaltung der Flüchtlinge gehört zur DNA deutscher Migrationspolitik, genauso wie die latente Scheindebatte um schnellere Abschiebungen.

Wer die Zahlen kennt, weiß, dass das Desaster der kommunalen Flüchtlingsunterbringung nichts mit der Abschiebepraxis zu tun hat: Von allen 1,94 Millionen Migranten, die bis Ende 2022 in Deutschland unter Berufung auf humanitäre Gründe Schutz gesucht haben (ohne ukrainische Flüchtlinge), sind nur knapp 50.000 tatsächlich ausreisepflichtig. Selbst wenn alle Ausreisepflichtigen morgen Deutschland verlassen würden, bliebe nach einer am 12. Januar vorgelegten Erhebung des Bündnisses „Soziales Wohnen“ ein Fehlbestand von über 600.000 Wohneinheiten für das laufende Jahr.

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"Abschieben und spalten", UZ vom 17. Februar 2023



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