Regierung holt 1-Euro-Jobs aus der Mottenkiste, um Asylbewerber abzuschrecken

Abschieben oder ausbeuten

Möglichst schnell abschieben oder zu Hungerlöhnen arbeiten lassen. So kann man das sogenannte „Migrationspaket“ zusammenfassen, auf das sich die Spitzen der Ampel-Koalition in der vergangenen Woche verständigt haben. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat das sozialdemokratisch geführte Innenministerium vorgelegt. Er soll Ende des Monats – wahrscheinlich sehr zur Freude der AfD – vom Bundeskabinett beschlossen werden.

Um abgelehnte Asylbewerber künftig einfacher abschieben zu können, sollen Behörden und Polizei mehr Befugnisse erhalten. Künftig sollen zudem Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote ein Grund für Abschiebehaft sein. Die Haft wird dann bis zu 28 Tagen statt wie bisher zehn betragen. Außerdem müssen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden.

Wer nicht zeitnah abgeschoben werden kann, soll zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden. Vor allem Geflüchtete, die zwar schon ihren Asylantrag gestellt haben, deren Verfahren aber noch läuft, stehen im Fokus. Hierzu werden die berüchtigten Arbeitsgelegenheiten – auch 1-Euro-Jobs genannt – aus der neoliberalen Mottenkiste geholt. „Wir werden es unterstützen, wenn Länder und Gemeinden zum Beispiel gemeinnützige Arbeit vor Ort möglich machen, die bisher ja nur selten angeboten wird“, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ebenfalls in der vergangenen Woche an. Dahinter steht das Ziel, Neuankömmlinge schneller in Arbeit zu bringen – und zugleich ein Zeichen zu senden, dass mit einem Asylverfahren kein bedingungsloser Zugang zu Sozialleistungen verbunden ist, so der Kanzler.

Unterschlagen wird hierbei jedoch, dass es schon jetzt möglich ist, Geflüchtete zu „gemeinnütziger Arbeit“ heranzuziehen. So regelt das Asylbewerberleistungsgesetz neben den Sach- und Geldleistungen auch, dass für Bewohner von Aufnahmeeinrichtungen „Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden“. Und weiter: „Im Übrigen sollen so weit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht (…) verrichtet werden würde.“

Die Regelungen zu gemeinnützigen Tätigkeiten stammen aus dem Jahr 2015, dem Jahr der sogenannten „Flüchtlingskrise“. Aufgrund der damals starken Migrationsbewegung sah die Politik vor allem das Problem, dass „Asylbewerber wegen überlanger Verfahrensdauern zu lange in einem Schwebezustand verharren mussten“. Daraufhin führte die Große Koalition das Programm „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ (FIM) ein, das auf den Regelungen zu gemeinnütziger Arbeit für Asylbewerber aufsetzte. Mit ihm stellte der Bund für die Jahre bis 2020 je 60 Millionen Euro bereit, um gemeinnützige Tätigkeiten im Sinne des Asylbewerberleistungsgesetzes zu finanzieren.

In der jüngeren Vergangenheit spielten diese Regelungen jedoch keine große Rolle. Auch deshalb, weil in den vergangenen Jahren weniger Geflüchtete neu ankamen. Nun sollen die Arbeitsgelegenheiten reaktiviert werden. Ob dies hilft, Geflüchtete in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, darf bezweifelt werden. Der DGB zog bereits fünf Jahre nach deren Einführung 2002 im Rahmen der Agenda-Politik eine vernichtende Bilanz: „Arbeitslose wurden und werden massenhaft in Ein-Euro-Jobs gesteckt, die ihnen kaum eine berufliche Perspektive bieten, aber die Arbeitslosenstatistik besser aussehen lassen. Zudem führten Ein-Euro-Jobs zur Verdrängung regulärer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Arbeitsgelegenheiten sind von der Wirkung her das schlechteste Arbeitsmarktinstrument.“

Diese Einschätzung wird die Regierenden sicher nicht davon abhalten, dieses arbeitsmarktpolitische Instrument wieder einzusetzen. Denn es ging weder in den 2000er Jahren noch heute um Hilfe für Betroffene und deren Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Ziel war damals die Drangsalierung Erwerbsloser und die Disziplinierung von Kernbelegschaften. Heute ist es die Abschreckung von Flüchtlingen.

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"Abschieben oder ausbeuten", UZ vom 20. Oktober 2023



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