EU-Gipfel scheitert an Migrationspolitik, Kiews Beitrittswünsche auf unbestimmt verschoben

Abriegeln und abwarten

Nach Washington, London und Paris nun also Brüssel: Wolodymyr Selenski ließ sich von den Abgeordneten des EU-Parlaments und den Staats- und Regierungschefs als Verteidiger der europäischen Freiheit feiern.

Doch der politische Ertrag für Selenski fiel mager aus. Dass sein Land bereits in zwei Jahren Mitglied der EU sein werde, daran glaubt er wohl selbst nicht. Auch einen Beginn von Aufnahmeverhandlungen noch in diesem Jahr – wie von ihm ultimativ gefordert – wird es nicht geben. In den Mitgliedstaaten beginnt man vielmehr auszurechnen, wie eine Union mit der Ukraine aussehen würde. Als flächenmäßig größtes Land mit einer Bevölkerung von 40 Millionen könnte das bitterarme Land dann den Löwenanteil der knappen Regional- und Agrarfondsmittel verlangen. Für die französischen und deutschen Bauern bliebe kaum etwas übrig und die armen Regionen Spaniens und Italiens gingen ganz leer aus. Mit der Ukraine würde man sich zugleich einen weiteren Erzfeind Russlands und engen Verbündeten der USA an den Tisch holen. Polen und die baltischen Staaten könnten dann den außen- und sicherheitspolitischen Kurs der EU maßgeblich bestimmen. Daher spricht viel dafür, dass der ukrainische EU-Beitritt zu einer Hängepartie werden wird wie jener der Westbalkanstaaten, von denen einige schon seit Jahrzehnten vor der Brüsseler Tür warten. Ganz zu schweigen von der Türkei, die ihren Antrag bereits 1959 gestellt hatte. Den Status eines Beitrittskandidaten erhielt das Land erst 1999. Inzwischen liegen die Verhandlungen auf Eis und es ist fraglich, ob sie jemals wieder aufgenommen werden. Nicht unwahrscheinlich ist, dass es Kiew ähnlich gehen wird.

Die europäische Migrationspolitik als zweiter Schwerpunkt des Gipfeltreffens stand in einem engen Zusammenhang mit der Lage in der Ukraine, leben doch bereits Millionen Flüchtlinge von dort in der EU. Allein in Deutschland sind es nach Schätzungen mehr als eine Million. Und die damit verbundenen Belastungen werden mit jedem Tag des Krieges größer. Hinzu kommen steigende Migrationszahlen aus Krisenländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Afrika. Im Jahr 2022 waren es mit 330.000 registrierten irregulären Grenzübertritten in die EU so viele wie seit Jahren nicht mehr. Zusammen mit den Ukraine-Flüchtlingen hat sich damit eine Welle aufgetürmt, die in Deutschland von den Kommunen nicht mehr bewältigt werden kann.

Der Europäische Rat gab darauf nur die altbekannten Antworten: Beschleunigung der Asylverfahren sowie eine schnellere Abschiebung abgelehnter Bewerber. Doch dazu bedarf es Rückführungsabkommen mit den Herkunftsländern. Die bekommt man aber nicht, da die Überweisungen der Arbeitsmigranten für diese Länder eine unentbehrliche Devisenquelle darstellen. Auch der Versuch, innerhalb der EU feste Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten zu vereinbaren, ist gescheitert: Vor allem osteuropäische Staaten sperren sich dagegen. Und die seit Jahren geltende Regelung, dass die Eingereisten zunächst in den Ankunftsstaaten Asyl beantragen müssen, steht nur auf dem Papier. Die davon betroffenen Länder Bulgarien, Griechenland, Italien und Spanien verweisen immer wieder auf die fehlende Solidarität innerhalb der Union bei der Verteilung der Asylsuchenden und schicken diese daher gleich nach Mitteleuropa weiter.

Angesichts des Scheiterns der bisherigen Migrationspolitik versucht man nun die EU-Außengrenzen noch dichter zu machen. Die Festung Europa wird mit weiteren Grenzzäunen, Wachtürmen sowie Kontrollen ausgebaut. Was in der Flüchtlingskrise 2015 noch als Sakrileg galt – Grenzzäune, wie sie etwa Ungarn an der Grenze zu Serbien errichtete –, ist jetzt offizielle Politik der Union. Es war ausgerechnet der zusammen mit den Grünen regierende österreichische Kanzler Karl Nehammer, der dafür in Brüssel am intensivsten warb. Ihm, aber auch anderen Regierungschefs, sitzen halt die Rechtspopulisten im Nacken.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Abriegeln und abwarten", UZ vom 17. Februar 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit