Mexikos Linke ist uneins über die Bewertung des neuen Präsidenten

Abkehr vom Neoliberalismus

Von Arturo Gallegos/Sozialistische Volkspartei Mexikos

Die Person Andrés Manuel López Obrador, kurz „AMLO“ „dominiert die politische Diskussion in Mexiko seit seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl. Das stellt eine ideologische Herausforderung für die Linke dar. Die reformistische und opportunistischen Linke ist gleich auf Obradors Wagen gesprungen ohne jegliche kritische Analyse. Die“radikale“ oder abenteuerliche Linke lehnt den neuen Präsident und alles, was er vertritt, ab. Ebenfalls ohne jegliche Analyse über seine Projekt oder den historischen Kontext.

Um zu einer umfassenden und tiefgehenden Bewertung von Obradors Bewegung zu gelangen, muss die revolutionäre Linke zuerst ein Profil des neuen Präsidenten skizzieren und dann entscheiden, welchen Elementen seines Denkens wir zustimmen und welche wir ablehnen. Obrador kommt aus der PRI (Partido Revolucionario Institucional – „Revolutionäre Institutionelle Partei“), die Partei, die Mexiko 70 Jahre regiert hat. Das besagt nicht viel. Die Mitgliedschaft in der PRI war über viele Jahre der einzige Weg, über den man in ein Amt kommen konnte. Natürlich hatte die PRI auch viele verschiedene Flügel. Wir können Obrador einer dieser Gruppen der PRI zuordnen, der aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese Gruppe hatte niemals die Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus zum Ziel. Unter Präsident Lazaro Cárdenas und dem Einfluss des Gewerkschaftsführers Vicente L. Toledano wurde sogar ein „sozialistisches“ Bildungsprogramm in der Verfassung verankert (Art. 3), aber das war eine Ausnahme. Das nationale Projekt dieser Gruppe war allgemein, was wir unter paternalistischem Kapitalismus verstehen, mit nationalistischen und manchmal sogar antiimperialistischen Momenten.

Die PRI, die nach der Revolution von 1910 geboren wurde, hat nach und nach ihr revolutionäres Feuer aufgebraucht vergleichbar einem toten Vulkan. In den achtziger Jahren war diese Partei deutlich in einem freien Fall und begann eine Politik der Privatisierung und der Durchsetzung neoliberaler Maßnahmen. Diese Politik wurde Mexiko von den „Chicago Boys“ aufgezwungen. Mit dem Fall der Sowjetunion und des Ostblocks war die Linke desorganisiert und unfähig, die Durchsetzung einer solchen Politik zu bekämpfen. Die Mehrheit der revolutionären Parteien litt unter inneren Kämpfen, Lügen, Spaltungen und sogar Verboten, von denen sie bis sich bis heute zu erholen versuchen. In diesem Kontext schafften es die fortschrittlichen Kräfte in Mexiko, sich nach ca. 30 Jahren neu zu organisieren und eine breite Front aufzubauen, wobei die Betonung auf „breit“ liegt. Diese Front hat sich für den Wahlkampf mit Obrador als Kopf entschieden, der sich durch harte Arbeit als Führerfigur der neuen Bewegung qualifiziert hatte.

Es wäre falsch, versuchte die revolutionäre Linke Obradors Erfolge kleinzureden, und unrealistisch anzunehmen, dass die revolutionäre Linke zur Zeit in der Lage wäre, ihm die Führung streitig zu machen. Andererseits ist das Argument, dass ein paar positive Maßnahmen für die Arbeiter ihren kämpferischen Willen unterminieren, so hochspekulativ wie unsinnig. War der kämpferische Wille des russischen Volks während Kerenskis Regierung weg? Jedenfalls ist die Abwertung von Verbesserungen für das Volk, egal wie klein und pragmatisch sie sein mögen, nur ein Verrat aus „revolutionärer“ Selbstsucht und Arroganz.

Die traditionellen Parteien der mexikanischen Bourgeoisie wurden zu einer Minderheit im Kongress. Das hat ihre Wählerbasis zerstört und damit ihre korrupte Klientelpolitik. Die mexikanischen Geheimdienst wurde bereits abgeschafft, das ungeliebte Projekt eines neuen Flughafens wurde abgesagt, wirtschaftliche Unterstützung werden für alte Menschen und junge ausgebildete Leute eingeführt, die Bezüge hochrangiger Amtsträger wurden drastisch reduziert und Privilegien der Bürokraten abgeschafft. Diese Veränderungen gehören allerdings nicht nur Obrador, sondern auch dem Volk, das Obradors anti-neoliberales Projekt in den Wahlen zugestimmt hat. Insofern ist es die Aufgabe der mexikanischen Linken, diesem Weg zu folgen, wenn sie im Interesse des Volkes handeln will, und sich davon zu entfernen und ihn zu bekämpfen, wenn er anfangen sollte das Volk zu betrügen. Das ist nicht nur eine pragmatische Zusammenarbeit, sondern teilweise eine ideologische Übereinstimmung. Das lässt manche Linken um ihre „revolutionären Grundwerte“ zittern, aber wirklich Abstinente zittern nicht vor der Flasche.

Ob wir Obrador für ehrlich halten oder nicht ist der reaktionären Rechten in Mexiko gleichgültig, die ihn bereits als neuen Hugo Chávez darstellt. Tatsächlich ist Obradors Ziel nicht den Sozialismus in Mexiko, sondern nur die Abkehr von 30 Jahren Neoliberalismus und die Rückkehr zum paternalistischen Kapitalismus. Trotzdem wird durch die Abschaffung der Hegemonie neoliberaler Parteien, das Ende der Dämonisierung der Linken und das Ende der Verfolgung der Arbeiterparteien und -vereine eine Situation geschaffen, in der wirklich revolutionäre Parteien ihren Einfluss verbreitern können.

Die revolutionäre Linke muss überzogene Kritik vermeiden, aber kritisch bleiben, sowohl in der Theorie als auch auf den Straßen. Parallel müssen wir für eine richtige Revolution in Mexiko streiten, zusammen mit den Elementen des Obradorismus, mit denen es Übereinstimmung gibt und gegen die, die das Volk betrügen.

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"Abkehr vom Neoliberalismus", UZ vom 1. Februar 2019



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