Wer verstehen will, wie es um das Land bestellt ist, in dem ein Donald Trump zum „Ersten Mann das Staates“ gewählt werden konnte, sollte unbedingt einige der Bücher von John Grisham lesen. Der Erfolgsautor aus dem Bundesstaat Virginia hat mit seinem bei Heyne in deutscher Sprache erschienenen Thriller „Bestechung“ (Originaltitel: „The Whistler“) wieder einen Blick in die Abgründe der bürgerlichen Gesellschaft im „Land der Freien und der Heimat der Tapferen“ ermöglicht, wie ihn kaum ein anderer Romanautor liefern kann.
Die kaum bekannte und offensichtlich mit voller Absicht relativ vernachlässigte Behörde „BJC“ im Sonnenstaat Florida wird mit einem anonymen Hinweis konfrontiert, der sie auf einen ungeheuren Korruptionsskandal aufmerksam macht. Ein unter falschem Namen auftretender Tippgeber, der im Auftrag eines alten Freundes auftritt, der wiederum die Interessen eines „Whistleblowers“ vertritt, übergibt dem „Board of Judicial Conduct“, das für die Berufsaufsicht und für standeswidriges Verhalten von Richtern zuständig ist, Informationen über die Verwicklung einer Bezirksrichterin in dunkle Geschäfte einer „Küstenmafia“ genannten kriminellen Organisation, deren Umtriebe weder dem BJC noch dem FBI auch nur annähernd ein Begriff sind.
Ins Zentrum der Ermittlungen gerät bald ein Spielkasino, das auf dem Gebiet des Stammes der Tappacola, die im „politisch korrekten“ Sprachgebrauch als „Native Americans“ bezeichnet werden, sich selbst jedoch einfach „Indianer“ nennen. Beim Bau und vor allem beim Betrieb des Kasinos sowie etlicher hochprofitabler Einrichtungen in dessen Umfeld ist so gut wie alles nicht mit rechten Dingen zugegangen, das dichte Netz von Verschwörungen erschwert jedoch eine Aufklärung ebenso wie die besonderen Gesetze und Regelungen, die für Indianerterritorien gelten. Bald ergibt sich für die Ermittler ein durchaus logisch erscheinendes Bild der mafiösen Verwicklungen, bei denen die Bezirksrichterin eine wichtige Rolle spielt und aus denen sie Schwarzgeld in mindestens zweistelliger Millionenhöhe bezieht. Aufgrund der äußerst beschränkten personellen und finanziellen Ressourcen und der eng begrenzten Kompetenzen scheint es dem BJC jedoch unmöglich, Licht in die Angelegenheit zu bringen.
Erst als bei einem mysteriösen Verkehrsunfall ein Mitarbeiter des BJC ums Leben kommt und seine Kollegin Lacy Stoltz schwer verletzt wird, lässt sich das FBI nach langem Zögern dazu bewegen, mit dem BJC zu kooperieren und eigene Ermittlungen anzustellen. Der große und mächtige Apparat der Bundespolizei der USA ist nämlich – anders als zu Zeiten von Al Capone – nicht in erster Linie darauf angesetzt, den umfangreichen und tiefen Sumpf der Kriminalität und des Steuerbetrugs im Land aufzudecken und trockenzulegen, sondern ist entsprechend der Linie der Regierungspolitik immer mehr dem vermeintlichen „Kampf gegen den Terrorismus“ verpflichtet …
Nach und nach entsteht ein Puzzle von verzweigten illegalen Geschäftsbeziehungen, bei denen die „Küstenmafia“ die Hauptrolle übernommen hat, die jedoch wesentlich durch Gerichtsentscheidungen der gekauften Richterin erst ermöglicht wurden. Die Anführer des Kartells und auch die Richterin haben im Laufe der Jahre ein System von Scheinfirmen in Steuerparadiesen aufgebaut, sie verfügen über ein Netz von Unternehmungen zur Geldwäsche, und sie stützen sich auf die Verschwiegenheit des Indianerstammes, der von einem korrupten Chief angeführt wird, der wiederum dafür sorgt, dass einerseits wichtige Positionen im Kasino und in der Stammesführung nur durch seine engsten Vertrauten besetzt werden und andererseits die Stammesmitglieder durch umfangreiche Sozialleistungen und eine monatliche „Dividende“ korrumpiert werden.
Nachdem erste Beteiligte an Verbrechen durch Druck und zum Teil fragwürdige Absprachen mit der Staatsanwaltschaft zum Reden gebracht und zur Kooperation genötigt wurden, gelingt es, das Ausmaß des Sumpfes zu überblicken und die Köpfe des Komplotts hinter Gitter zu bringen. inen wichtigen Beitrag dazu leisten auch die Informationen der „Whistleblower“, die jedoch, wie gleich zu Beginn deutlich wird, nicht nur aus edlen Motiven handeln. Denn die drei Verschwörer, deren Identität lange Zeit im Dunklen bleibt, sind in erster Linie auf die Belohnung aus, die ihnen entsprechend den gesetzlichen Regelungen zusteht – und die sie schließlich auch in Millionenhöhe erhalten. Denn im Gegensatz zu „Whistleblowern“, die wie Edward Snowden oder Bradley Manning die Umtriebe der Geheimdienste oder Kriegsverbrechen der US-Truppen im Ausland aufdecken und dafür mit harten Strafen rechnen müssen, können Leute, die dem Staat helfen, seine Steuereinnahmen – und sei es aus noch so finsteren Quellen – aufzubessern, eine fette Belohnung erwarten.
Die Lektüre dieses jüngsten Grisham-Romans ist wieder einmal ein interessanter und auf jeden Fall spannender Weg, etwas mehr über die Abgründe und wirklichen Mechanismen der US-Gesellschaft zu verstehen.