Erinnerungen an die Zerschlagung der Akademie der Wissenschaften der DDR

Abgewickelt

Von Nina Hager

1989 arbeitete ich das 17. Jahr in Berlin im Wissenschaftsbereich „Philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung“ im Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR. Hier arbeiteten ausgebildete Physiker und Physikerinnen, Biologinnen und Biologen, Chemiker, Psychologinnen und Philosophinnen und Philosophen. Aus der Forschung resultierten viele Veröffentlichungen, die noch heute ihren Wert haben.

Im Spätherbst 1989 kam auch in unserem Institut die Forderung nach einer „Erneuerung der Wissenschaft“ auf. Ging es anfangs manchem noch um die konsequentere Durchsetzung wissenschaftlicher Grundprinzipien beim marxistischen Herangehen an die Analyse gesellschaftlicher Prozesse und um die Verbesserung der Effektivität der Organisation der Forschung usw., so änderte sich dies in den folgenden Monaten. Einige wenige Kollegen erklärten plötzlich, sie könnten sich nicht mehr als Marxisten bezeichnen. Bei Vorlesungen und Seminaren an der benachbarten Humboldt-Universität war im Winter 1989/1990 nicht mehr „gut angesehen“, wer noch Lehrveranstaltungen zum Beispiel zum dialektischen Materialismus anbot.

Mit der „Erneuerung“ kamen folgerichtig auch neue Leitungen. Was die Akademie der Wissenschaften insgesamt betraf, hatten wir Glück. Am 17. Mai 1990 wurde der angesehene Mediziner Professor Dr. Horst Klinkmann von den noch rund 24 000 Mitarbeitern der Akademie und den Mitgliedern der Gelehrtengesellschaft der Akademie zum neuen Akademiepräsidenten gewählt. Die neue Leitung bemühte sich, Gelehrtengesellschaft und Wissenschaftsinstitute zu erhalten. Jedoch bereits einen Tag später kam es zu einem „Kamingespräch“, in dem die damaligen Wissenschaftsminister Riesenhuber (BRD) und Terpe (DDR) gemeinsam mit hochrangigen Vertretern aus Ost und West die Zukunft der außeruniversitären Forschung der DDR aushandelten. Klinkmann meinte später, die DDR-Vertreter hätten die Gespräche mit „vertrauensvoller Blauäugigkeit“ geführt: Auch die „Abwicklung“ der Akademie der Wissenschaften, die eine außeruniversitäre, staatliche Forschungseinrichtung war, war längst angedacht: Sie „passte“ nicht in die westdeutsche Forschungslandschaft. Aber es gab da auch noch andere Gründe.

Später gab es auch bei uns im Philosophie-Institut Gerüchte über Entlassungen von Mitarbeitern. Dass dies nicht nur Gerede war, wurde deutlich, als „persönliche Gespräche“ über die wissenschaftliche Perspektive einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geführt wurden. Doch die Leitung der Akademie der Wissenschaften handelte mit dem Ministerium für Forschung und Technologie der DDR ein Moratorium aus, das Kündigungen verbat. Aus dem Ministerium kam eine entsprechende Anweisung. Offenbar waren den Wünschen bestimmter Kreise noch Schranken gesetzt.

Im Sommer 1990 wurde im DDR-Ministerium für Forschung und Technologie die „Institutsgemeinschaft“ der Akademie der Wissenschaften eingeschätzt, zu denen eben auch gesellschaftswissenschaftliche Institute wie das unsere gehörten. Dort hieß es im Hinblick auf diese: „Besonders problematisch zeichnet sich die Situation für die Forschungseinrichtungen dieser Sektion im Rahmen der Akademieinstitute ab. Der Einfluss der marxistisch-leninistischen Denk- und Arbeitsrichtungen muss durch inhaltliche, personelle und strukturelle Veränderungen ausgeschaltet werden.“ Und so kam es – wie auch an den Universitäten und Hochschulen – dann auch.

Mit dem Einigungsvertrag, der im August 1990 unterzeichnet wurde, wurden alle weiteren Überlegungen, die Institute in einem neuen Wissenschaftsverbund obsolet. Dazu gehörte der Vorschlag, die gesellschaftswissenschaftlichen Institute in einer Mommsen-Gesellschaft zusammenzufassen, die naturwissenschaftlichen in einer Helmholtz-Gesellschaft und die Industriebereiche der Akademie sowie den Gerätebau auszugliedern. Mit dem Einigungsvertrag wurden mit einem Federstrich unsere unbefristeten in bis zum 31.12.1991 befristete Arbeitsverträge umgewandelt.

Es dauerte noch bis zum diesem Tag – und das bedeutete noch viele Monate Ungewissheit, zunehmende Existenzangst, teilweise Entsolidarisierung unter Kolleginnen und Kollegen – bis die Institute geschlossen bzw. in neue Formen überführt worden waren. Ich erinnere mich daran, dass alle Bewerbungsschreiben, die ich 1990 und 1991 verschickt hatte, entweder gar nicht oder mit vorgefertigten Formulierungen abschlägig beantwortet wurden. Einige meiner Kolleginnen und Kollegen konnten letztlich doch in sogenannten Langzeitprojekten bzw. im Rahmen des Wissenschaftler-Integrationsprogramms weiterarbeiten, andere gingen in die Rente bzw. wurden arbeitslos. Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Institute sowie die, die der medizinischen Forschung dienten, gingen meist in andere Trägerschaften über. Die gesellschaftswissenschaftlichen wurden alle geschlossen.

Das, was wir an der Akademie erlebten, mussten andere auch bzw. bereits früher erfahren: Auch die Mehrheit der Arbeitskollektive in den Forschungseinrichtungen der DDR-Industriekombinate wurden nach dem Anschluss an die Bundesrepublik zerschlagen. An den Universitäten und Hochschulen wurden Tausende in die Arbeitslosigkeit geschickt – auch aus politischem Kalkül und zudem um unliebsame wissenschaftliche Konkurrenten auszuschalten bzw. die freiwerdenden Lehrstühle mit dem eigenen, meist zweit- und drittrangigen, politisch „zuverlässigem“ Klientel aus dem Westen zu besetzen.

Nach Angaben der Bundesregierung hatten im Dezember 1992 von den zuvor insgesamt 195 073 Beschäftigten in Forschung und Lehre der DDR – also einschließlich des wissenschaftlich-technischen und technischen Personals – nur noch circa 23600 eine Vollzeitstelle.

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"Abgewickelt", UZ vom 11. Oktober 2019



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