Am Montag, dem 3. Juni, wurde Serhat Ürküp in seiner Wohnung in Marburg verhaftet und noch am gleichen Tag in die Türkei abgeschoben. Vor zwei Jahren war er im Alter von 17 Jahren nach Deutschland geflüchtet. UZ sprach mit Ulf Immelt, DGB-Sekretär in Mittelhessen, über den Fall.
UZ: Der 19-jährige Serhat wurde vor Kurzem trotz Ausbildungsangebot aus Marburg in die Türkei abgeschoben. Wie ging das vonstatten?
Ulf Immelt: Serhat wäre eigentlich ein Paradebeispiel für die vielbeschworene gelungene Integration. Zweimal hatte eine Marburger Malerfirma ihm ein Ausbildungsangebot als Maler und Lackierer gemacht. Die Firma sucht seit vier Jahren einen Auszubildenden und Serhat hätte hier auch gerne angefangen. Die hessischen Behörden orientieren sich aber lieber an dem Leitsatz der AfD-Fraktion im Hessischen Landtag: „Vorrang von Abschiebung vor Arbeit und Ausbildung“. In der Folge wurde Serhat am 3. Juni früh morgens aus seiner Unterkunft von der Polizei abgeholt und noch am gleichen Tag in die Türkei abgeschoben.
UZ: Vielleicht können Sie etwas über Serhat berichten. Wann kam er in die BRD, wie hat er hier gelebt?
Ulf Immelt: Serhat kam mit 17 Jahren nach Deutschland. Er floh aus einer Elendsregion im Osten der Türkei. Seit er 13 war, hat er als Tagelöhner auf den Feldern oder auf dem Bau gearbeitet. Er musste seine Familie unterstützen. Um der Armut zu entfliehen, floh er nach Deutschland und stellte als Kurde vor zwei Jahren einen Asylantrag in Rheinland-Pfalz. Nach einem Umzug nach Hessen wurde er in ein „InteA“-Programm (Integration durch Abschluss) des Landes aufgenommen, besuchte die Kaufmännische Schule in Marburg, lernte Deutsch und absolvierte bei besagter Malerfirma zwei Praktika.
UZ: Der hessische Petitionsausschuss hat sich mit seinem Fall beschäftigt. Wie wurde dort entschieden?
Ulf Immelt: Sein Asylantrag, Widerspruch und Eilverfahren wurden leider ebenso abgelehnt wie eine Petition an den Landtag.
UZ: Damit waren aber nicht alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft. Schließlich gibt es noch die Härtefallregelung. Wie verhält es sich damit?
Ulf Immelt: Bevor über eine mögliche Härtefallregelung entschieden werden konnte, wurde die Abschiebung durchgeführt.
UZ: Damit haben die Behörden der Entscheidung vorgegriffen. Ist das nicht rechtswidrig?
Ulf Immelt: Das klärt gerade Serhats Anwältin. Es kann sich auch formal um rechtswidriges Verhalten der Behörden handeln. Vor allem haben wir es aber mit dem Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit zu tun. Und Gerichte sind nun mal nur für Ersteres zuständig.
UZ: Haben Sie Kontakt zu Serhat? Wie geht es ihm aktuell?
Ulf Immelt: Die Situation für Serhat ist alles andere als gut. In der Türkei droht ihm jetzt ein Ausreiseverbot und die sofortige Einziehung zum verpflichtenden Wehrdienst beim Militär. Aufgrund der aktuellen politischen Situation könnte dies auch Kampfeinsätze bedeuten.
UZ: Wer hat sich gegen Serhats Abschiebung eingesetzt und fordert nun seine Rückkehr?
Ulf Immelt: Zuerst ist hier sicher der Cölber Arbeitskreis Flüchtlinge zu nennen. Dessen Vorsitzender Dr. Kurt Bunke betreut den Fall seit über einem Jahr. Aber auch die Schulleitung, Lehrer und Mitschüler der Kaufmännischen Schule Marburg, Parteien, Gewerkschaften – ein breites Bündnis der Marburger Zivilgesellschaft – fordern Serhats Rückkehr.
UZ: Was sind Ihre nächsten Schritte, um den Fall bekannter zu machen und sich für Serhat einzusetzen?
Ulf Immelt: Am vergangenen Freitag hat die Marburger Stadtverordnetenversammlung eine Resolution für Serhat verabschiedet. Am Donnerstag ist eine Kundgebung unter dem Motto „Ausbilden statt abschieben, Serhat zurück nach Marburg“ vor der Kaufmännischen Schule geplant. Außerdem haben Unterstützer Serhats eine Spendenaktion initiiert.