Abgehängt

Vincent Cziesla • E-Scooter bringen Profite, lösen aber keine Verkehrsprobleme

Verkehrsdebatten schwanken in Deutschland stets zwischen Hype und Hysterie. Wen wundert es? Schließlich gibt es im Kapitalismus wenig Raum für echte Politik, also eine vernunftgetriebene, planvolle Organisation der Gesellschaft. Und gerade im Verkehrssektor tummeln sich viele einflussreiche Akteure, die nichts unversucht lassen, die eigenen Interessen zur „öffentlichen Meinung“ zu erheben. Nehmen wir nur zwei heraus: Da gibt es die trendigen „Start-ups“, die uns angeblich mit den neuesten, besten und klimafreundlichsten Mobilitätsinnovationen beglücken, und auf der anderen Seite die mächtige Automobilindustrie, die, nun ja, eben Autos verkauft. Mittendrin sitzt Andreas Scheuer (CSU), der auf eindrucksvolle Weise darum bemüht ist, es allen Kapitalfraktionen gleichzeitig recht zu machen. In diesem Sinne ist er vielleicht der demokratischste Bundesverkehrsminister aller Zeiten.

Scheuer setzt dabei darauf, gesellschaftlich akzeptierte und wichtige Problemlagen anzusprechen, um sie dann mit größtmöglichem Profit für seine Klientel zu „lösen“. In den vergangenen Monaten wandte sich Scheuer insbesondere der Verkehrswende zu und versprach, sie durch die sogenannte „Mikromobilität“ voranzubringen. Damit sind kleine elektrische Fahrzeuge wie Tretroller mit Elektroantrieb (E-Scooter) und zweirädrige Segways gemeint. Bereits im Januar hatte die Beraterfirma McKinsey hierfür ein Marktpotential zwischen 100 und 150 Milliarden Dollar in Europa ermittelt, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass zur Verwirklichung auch die politischen Rahmenbedingungen passen müssten. Dafür sorgt hierzulande der Verkehrsminister mit Verordnungen und Propaganda. So schreibt das Bundesverkehrsministerium auf seiner Homepage: „Diese Fahrzeuge sind batteriebetrieben und somit emissionsfrei.“

Das ist selbstverständlich dreist gelogen und entspricht haargenau dem, was die Hersteller und Verleiher der Kleinstfahrzeuge gerne (aber häufig geschickter) suggerieren. Tatsächlich sind die Scooter keineswegs emissionsfrei. Sie verbrauchen Strom und müssen regelmäßig geladen werden. In der Produktion entstehen ebenfalls Emissionen und auch die Nachhaltigkeitsbilanz ist bescheiden: Die Hersteller versprechen eine Lebensdauer von gerade einmal einem Jahr, in der Realität beträgt sie jedoch oft nur wenige Monate. Gut fürs Geschäft – miserabel für Klima und Umwelt.

Ganz wild wird es, wenn man den Blick auf die Verleihangebote lenkt. Denn die meisten E-Scooter befinden sich nicht im Privatbesitz der Konsumenten. Sie werden stattdessen für kurze Strecken ausgeliehen. Sind die Batterien leer, fahren sogenannte „Juicer“ mit Transportern durch die Städte und sammeln die Roller ein, um sie zur Ladestation zu bringen; mit dem Diesel im Einsatz für die „saubere“ Mobilität. Der überwiegende Teil der Juicer ist prekär beschäftigt. Sie arbeiten selbständig, auf 450-Euro-Basis oder, passend zur Mikromobilität, in sogenannten „Mikrojobs“. Dabei erhalten sie ihre Aufträge per App und sind selbst für ihre Absicherung und die ihnen im Job entstehenden Kosten verantwortlich.

Die Scooter werden unsere Verkehrsprobleme nicht lösen. Niemand verzichtet auf sein Auto, um fortan mit dem Roller zu fahren. Im Gegenteil: Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass die meisten Scooterfahrten auf Strecken stattfinden, die die Nutzer sonst zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zurückgelegt hätten. Die Mikromobilität führt also tendenziell eher zu einer Zunahme von Fahrzeugen auf unseren Straßen. Die E-Scooter sind eben nur eine Spielerei und manch einer hat Freude daran, auf dem Roller durch die Gegend zu fahren. Das ist kein Skandal. Das Problem besteht vielmehr darin, dass sich die herrschende Verkehrspolitik vollständig in der Interessenvertretung für große Unternehmen erschöpft. Der gesellschaftliche Nutzen wird – und sei es auch noch so durchsichtig falsch – dort behauptet, wo gerade das größte Geschäft zu machen ist. Die Konsequenzen tragen dann die Kommunen, die mit überfüllten Straßen zu kämpfen haben und, ohne wirksame Hilfen aus Berlin, die Verkehrswende organisieren sollen.

Was es braucht: ein kostenloses ÖPNV-Angebot, ein gut ausgebautes Schienennetz und neue Konzepte für die Aufteilung des öffentlichen Raumes mit kurzen Wegen und Sicherheit für Fußgänger und Radfahrer. Das würde die Lebensqualität erhöhen, dem Klimawandel entgegenwirken, mehr Mobilität für Menschen mit niedrigen Einkommen ermöglichen. Es würde die kommunalen Verkehrsbetriebe stärken und nicht die großen Konzerne. Aber dafür bräuchte es eine echte Verkehrspolitik. Und dafür ist, wie gesagt, wenig Raum.

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"Abgehängt", UZ vom 6. September 2019



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