Die Ampel ist Geschichte, aber der Kriegskurs wird fortgesetzt

Abgang rechts

Allein die Nachricht reichte aus, und schon waren die Reichen ein bisschen reicher geworden. Kurz nach dem Wahlsieg von Donald Trump jubelte die Wall Street, weil die Börsenkurse in die Höhe schossen. Am gleichen Tag platzte in Berlin die Ampel-Koalition. Die Reaktion an der Börse war ungleich schwächer. Aber immerhin: Der DAX zeigte „eine gewisse Erholung“ wie „ntv“ berichtete. Das deutsche Kapital reagierte gelassen auf die Seifenoper im Kanzleramt.

Warum auch nicht? Die bisherige Politik kann fortgesetzt und unter einem möglichen Kanzler Friedrich Merz (CDU) sogar verschärft werden, wenn es nötig ist. An den Kräfteverhältnissen ändert sich nichts: Aufrüstung und Sozialkahlschlag, Krieg und Wirtschaftskrieg, der Abbau von demokratischen Rechten und die Abwälzung von Kriegs- und Krisenlasten auf die große Mehrheit der Bevölkerung bleiben Kernstücke der Agenda, die weiterhin von der ganz großen Koalition von CDU, SPD, FDP, Grünen und AfD getragen wird. Aber einen Teil des peinlichen Personals, das bisher mit der Umsetzung beauftragt war, kann man jetzt austauschen.

Aus Sicht des Kapitals dürfte das auch nötig sein, vor allem an der Spitze. Die Beliebtheitswerte von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befinden sich im freien Fall, aber die nächste Runde des sozialen Kahlschlags kann nicht mehr lange aufgeschoben werden. Dadurch droht Scholz seine Hauptfunktion als Sozialdemokrat zu verlieren. Was nützt ein SPD-Kanzler, der den Kriegs- und Krisenkurs nicht mehr überzeugend vermitteln kann, um die Gewerkschaften und die Arbeiterklasse einzubinden? Die Probe aufs Exempel gab es am Sonntagabend bei „Caren Miosga“. Gleich einem TV-Ratespiel konnte jeder für sich selbst überprüfen, wie glaubwürdig es wirkte, als Scholz mit Blick auf die Finanzierung des Ukraine-Krieges sagte: „Tun wir das auf Kosten der Zukunft unseres Landes? Müssen die Bürgerinnen und Bürger, die Rentnerinnen und Rentner das bezahlen? Die Antwort ist nein.“

Ein bisschen muss die entmachtete Rest-Ampel aber noch aushalten. Nicht zuletzt, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass bei der Neuwahl eine „demokratische Richtungsentscheidung“ getroffen werden könnte. Das Geschacher um einen Wahltermin gehörte zur Show, ebenso die genüssliche Zurschaustellung des langsamen Absturzes der verbliebenen Regierungsmitglieder. Da man Scholz aber nur schlecht einen Schandhut aufsetzen kann, setzt man ihn ins öffentlich-rechtliche Fernsehen und lässt ihn reden – das läuft aufs Gleiche hinaus. Sein Auftritt bei Miosga wirkte in weiten Teilen wie von einem anderen Stern. Ausführlich arbeitete der Kanzler noch einmal seine gescheiterte Beziehung mit Christian Lindner (FDP) auf, gab die Empfehlung aus, persönliche Rügen grundsätzlich vom Teleprompter abzulesen und gelangte zu der grotesken Feststellung: „Ich finde mich etwas cooler als Friedrich Merz, wenn es um Staatsangelegenheiten geht.“

Einen abtretenden US-Präsidenten, der nur noch Kurs hält, bis sein Nachfolger kommt, bezeichnet man als „Lame Duck“, als „lahme Ente“. Doch der Vergleich zieht nicht, denn diese Präsidenten wissen zumeist, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Scholz wirkt mehr wie der Vorsitzende eines untoten Kabinetts, das den Moment des eigenen Ablebens verpasst hat und nun ruhelos umherirrt. Wer einen Beweis dafür braucht, der frage Robert Habeck (Grüne), der sich einen Tag nach dem Platzen der Ampel zu der Drohung hinreißen ließ: „Wir sind im Amt, wir können Entscheidungen treffen und wir werden weiter Entscheidungen treffen.“

Es bleibt abzuwarten, inwiefern diese „Entscheidungen“ im Wahlkampf helfen. Denn einen Vorteil hat das Zombie-Dasein der Bundesregierung: SPD und Grüne können Gesetzesentwürfe einbringen, ohne eine Umsetzung fürchten zu müssen. Bisher wurde die Schuld am Scheitern sozialer Reformen, wie der Kindergrundsicherung, der FDP zugeschoben. Nun, da sie weg ist, kann Scholz mit Verweis auf die sture CDU den Kanzler geben, der gerne wollte, aber nicht konnte. Ob das verfängt, wird sich zeigen. Klar ist allerdings schon jetzt: Mit dem vorläufigen Abtritt von Scholz, Habeck oder Lindner wird die Kriegspolitik nicht beendet. Es steht zu befürchten, dass lediglich ein neues Kapitel aufgeschlagen wird.

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"Abgang rechts", UZ vom 15. November 2024



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