In der Debatte um den Klimaschutz besteht weitgehend Einigkeit, dass der öffentliche Personenverkehr gefördert werden muss, um die Luftbelastungen der Umwelt zu verringern. Damit ist die Einigkeit auch schon beendet, denn außer großen Worten zeigt die Situation im Öffentlichen Personenverkehr (ÖPNV) keine Veränderungen zugunsten dieser Massenverkehrsmittel – im Gegenteil. Die Öffnung des ÖPNV für den europäischen Wettbewerb vor knapp zwei Jahrzehnten hat die Kommunen als Hauptträger der Unternehmen zu drastischen Maßnahmen des Kahlschlags veranlasst. Privatisierungen und Ausgliederungen von öffentlichen zugunsten privater Unternehmen mit schlechterer Tarifbindung prägten die Verkehrspolitik vor Ort. Betroffen waren nicht nur klassische Privatisierungsbereiche, wie die Ausgliederung des Reinigungspersonals oder Kontrolleure, sondern auch die Kernbereiche wie das Fahrpersonal. Die Folge waren ein drastischer Personalabbau und Arbeitsverdichtung. Zum Vergleich: Im Jahr 1998 waren noch über 153.000 Menschen im ÖPNV beschäftigt, zwanzig Jahre später sind es noch etwa 125.000. Gleichzeitig ist aber die Anzahl der Fahrgäste von etwa sieben Mrd. auf circa 8,8 Mrd. im Jahr gewachsen. Der Personalkostenanteil sank um gut 10 Prozent.
Die Gewerkschaft ver.di konnte zwar in der Regel die Tarifbindung für die Beschäftigten durch den Tarifvertrag Nahverkehr weitgehend erhalten, aber zu schlechteren Bedingungen, insbesondere für Neueingestellte. Die unattraktiven Arbeitsbedingungen stellen die Nahverkehrsunternehmen inzwischen vor gravierende Probleme, da heute nicht ausreichend Nachwuchs für aus dem Berufsleben scheidende Beschäftigte gefunden wird. Die Beschäftigten berichten von Personalmangel und zunehmendem Zeitdruck, der insbesondere bei der größten Berufsgruppe, dem Fahrpersonal, zu immer enger getakteten Dienstplänen führt. Zugleich stellt der dichter werdende Verkehr in den Ballungsräumen immer größere Anforderungen an die Fahrer, die die Verantwortung für Fahrgäste und Fahrzeuge tragen. Die Angst vor Fehlern, die im schlimmsten Fall zu Sach- oder Personenschäden führen können, wächst. Schließlich können diese häufig mit arbeits-, aber auch straf- und/oder zivilrechtlichen Konsequenzen verbunden sein. Dazu kommt die Sorge um die eigene Gesundheit und Probleme wie die schlechte Bezahlung, Nichtberechnung von Wendezeiten als Arbeitszeiten, die Bedrohung durch übergriffig-aggressive Fahrgäste und die fehlende Möglichkeit zum Toilettengang während des Arbeitstages. Die Liberalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge zeigt außerdem Wirkung: Ständig hängt die weitere Forcierung der Privatisierung wie ein Damoklesschwert über den Unternehmen und erhöht den Druck auf die Beschäftigten.
Die in der Gewerkschaft ver.di organisierten Beschäftigten bereiten sich vor diesem Hintergrund schon seit längeren bundesweit auf den Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen vor und fordern die Verbesserung der Bezahlung und die Entlastung der Beschäftigten durch mehr Personal. Die Gewerkschaft hat sämtliche Tarifverträge für den Nahverkehr zum 30. Juni 2020 gekündigt, so dass diese Arbeitskämpfe gemeinsam geführt werden können.Die Beschäftigen sollen im Frühjahr mit der Kampagne „Umsteigen – Fahrt Richtung Zukunft“ mobilisiert und die Öffentlichkeit sensibilisiert werden. Das ist auch notwendig, denn laut ver.di benötigen die Nahverkehrsunternehmen „deutlich mehr finanzielle Mittel“. Und da die Kommunen dies alles nicht allein stemmen können, müssen Länder und Bund unterstützen. Um die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs auf wirklich solide Füße zu stellen, fordert die Gewerkschaft, die Nutznießer durch eine Unternehmensabgabe für den Nahverkehr zu beteiligen. Der Sommer dieses Jahrs verspricht eine heiße Zeit der Tarifauseinandersetzung, die es zu unterstützen gilt.
Tarifrunden 2020
Die durchschnittlichen Tariferhöhungen lagen 2019 mit etwa 3 Prozent auf dem Wert des Vorjahres. Im Folgenden ein Überblick über die größeren Tarifrunden des Jahres 2020, in Klammern die Anzahl der Beschäftigten.
März
Metall- und Elektroindustrie (3.780.000)
April
Bauhauptgewerbe (633.000)
Volkswagen AG (115.000)
Hotel- und Gaststättengewerbe Bayern (157.000)
Mai
Deutsche Post AG (140.000)
Hotel- und Gaststättengewerbe Weser-Ems (Oldenburg), Nordrhein-Westfalen (142.000)
Juni
Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (64.000)
August
öffentlicher Dienst Bund und Gemeinden (2.712.000)
September
Dachdeckerhandwerk (88.000)
Oktober
Maler- und Lackiererhandwerk (123.000)
November
Privates Verkehrsgewerbe Bayern (128.000)
Dezember
Gebäudereinigerhandwerk (460.000)
Bewachungsgewerbe, verschiedene Regionen (153.000)
In einigen Branchen wird 2020 nicht verhandelt, weil die Verträge bis ins Jahr 2021 gelten. Dies gilt zum Beispiel für den Groß- und Außen- und den Einzelhandel sowie den öffentlichen Dienst der Länder.