Am 20. Oktober wäre Konrad Wolf (geb. 1925 Hechingen – gest. 1982 Berlin) 90 Jahre alt geworden. Die eigenen Erfahrungen als Heranreifender mit Faschismus und Krieg hat der bedeutende DEFA-Regisseur in einer Reihe seiner Filme künstlerisch verarbeitet. Diese Woche liefen sie im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur Berlin als retrospektive Schwerpunkte: „Ich war neunzehn“ (DDR-Nationalpreis I. Klasse 1968), „Sterne“ (Spezialpreis von Cannes 1959), „Mama, ich lebe“ (FDGB-Kunstpreis 1977), dazu sein letzter realistischer Spielfilm über den Alltag in der DDR „Solo Sunny“ (1980 mit Preisen von internationalen Filmfestspielen in Berlin und in Chicago bedacht). Biografisch orientierte Dokumentarfilme von Gitta Nickel und Lew Hohmann ergänzten, ebenso Gespräche mit prominenten Gästen und Lesungen.
Das jetzt erstmals umfassend und in deutscher Übersetzung publizierte Kriegstagebuch 1942–1945 kam am 15. Oktober zum Premieren-Vortrag in die Akademie der Künste, deren umfangreiches Konrad-Wolf-Archiv über wertvolle dokumentarische und künstlerische Bestände verfügt. Am 90. Geburtstag wurde es noch ein weiteres Mal, im Russischen Haus, öffentlich gelesen: „Aber ich sah ja selbst, das war der Krieg“.
Dieser Titel zitiert gleich den zweiten Tageseintrag (20.3.1943) des einberufenen 17-Jährigen aus der 9. Klasse der deutschen Karl-Liebknecht-Schule in Moskau. Stalingrad hatte eben die Richtung des Krieges geändert. Konrad Wolf erlebte seine Feuertaufe in Kabardinka am Schwarzen Meer beim schweren Luftangriff eines Wehrmachtsgeschwaders. Er warf sich zu Boden, sah tiefe Bombentrichter, vor Trümmern eine elende alte Frau und bald zerfetzte Tote. Mit sporadisch begleitenden Aufzeichnungen gelangte er schließlich bis zum abrupten Abbruch in einem militärisch entscheidenden Moment der Oder-Überquerung an ein Ende (18.4.1945). Dieser Offizier Konrad Wolf unmittelbar hinter der Front der Roten Armee war inzwischen mehr als der anfängliche Übersetzer, Vernehmer von Gefangenen, für Sendungen und Flugblätter zuständig. Den langen Weg vom Kaukasus bis zur Einkreisung Berlins hatte er beim Stab seiner 47. Armee über Kursk, Warschau und Stettin mit dem internationalistischen Anspruch zurückgelegt, verblendete Deutsche mit Lautsprecheranrufen rechtzeitig zum Überlaufen zu bewegen.
„Es war ein mühseliger Weg, den ich nie vergessen werde: Ich durchquerte und erlebte eine Stadt, die ein Trümmerhaufen voller Menschen war … Je länger dieser Weg wurde, umso schwerer fiel eine Antwort auf die Frage – kann sich dieses Land, dieses Volk jemals wieder erheben? Aber in dieser Frage lag schon eine Antwort an mich selbst, sehr leise noch und zaghaft – du kannst dich dieser Aufgabe nicht entziehen, die ersten Bande sind geknüpft … Aber der Weg war sehr lang!“ („Heimkehr 45“, 1966)
2005 hatte die Akademie der Künste schon auszugsweise Einträge aus dem Kriegstagebuch und aus zeitnahen Briefen veröffentlicht, im Band 14 ihrer Archiv-Blätter. Die vollständige, in der Edition Die Möwe erschienene Publikation enthält noch weitere Briefe ins Moskauer Nachhause, sodann das eben zitierte Treatment „Heimkehr 45“ als Wolfs nachträgliche Aufzeichnung aus dem Gedächtnis und, auf DVD, seinen darauf beruhenden Film „Ich war neunzehn“.
Herausgeber Paul Werner Wagner, Vorsitzender der Friedrich-Wolf-Gesellschaft, sieht im Ergebnis editorischer Arbeit Konrad Wolf als „Brückenbauer zwischen Russen und Deutschen“. Torsten Musial, Leiter des Filmarchivs der Akademie der Künste Berlin, verweist auf umfangreiches weiteres Material aus der Zeit, da Wolf, noch keine Vierzig, bis zum frühen Tod mit 56 die DDR-Akademie der Künste präsidierte und dort auch film- und kulturpolitisch arbeitete.
Korrespondenz nach Moskau
Intensive Textbetreuungen leisteten der Russisch-Übersetzer Jürgen Schlenker und der sprachkundig beratende Zeitzeuge Moritz Mebel. Günter Drommer half sachkundig einzuordnen, denn er lektorierte schon einen Brief-Band von Markus Wolf und dessen autobiografisches Buch von 1989 über Konrads nicht realisiertes „Troika“-Filmprojekt. „Konis“ jetzt vorliegende Briefe an die Jugendfreundin Zilja Woskressenskaja, an Eltern und Bruder „Mischa“ (Markus) lesen sich in leicht verändertem Kontext des zwischenzeitlichen Hintergrunds 1942–1945, da die Freundschaft der drei ehemaligen Karl-Liebknecht-Schüler Konrad Wolf, Vitja Fischer und Lothar Wloch geografisch wie politisch weit versprengt war. Im direkten Gefolge stalinistischer Misstrauens- und Verfolgungswellen, gar einer Familienabschiebung nach Hitler-Deutschland, fanden sich drei eigentlich sozialismusbegeisterte Jugendliche auf verschiedenen Seiten der Kriegs-Barrikaden wieder. In der Nachkriegszeit erneuerte sich die Freundschaft der Männer-Troika.
„Auf derselben Seite der Barrikade“ kämpften im Krieg voneinander unabhängig „Jäcki“ und „Koni“. Sie lernten sich als russisch sprechende Absolventen der Moskauer Filmakademie Anfang der 50er Jahre kennen. Angel „Jäcki“ Wagenstein, der jetzt 93-jährige Bulgare, gehört zu Wolfs ausgezeichneten Drehbuchautoren: „Sterne“, „Der kleine Prinz“, „Goya“ (DDR/UdSSR) und war einst Partisan. Dieselbe Rote Armee, der Konrad Wolf 1945 nach dem Fall Bernaus vorübergehend als Stadtkommandant diente, hat Angel Wagenstein bei der kampflosen Befreiung Bulgariens vor der Hinrichtung durch deutsche Besatzer bewahrt. Wenn sich beide wieder und wieder der besonderen Richtung ihres Lebens besannen, stimmten sie Tschapajew zu Ehren das Lied vom „Schwarzen Raben“ an.
Akademiemitglied Wolfgang Kohlhaase, 85, ging auf die idealtypisch angestrebte Bewältigung des lebenslangen Themas Russen und Deutsche ein, als er über die vom Regisseur „besonders partnerschaftlich“ gewünschte szenaristische Arbeit am Film „Ich war neunzehn“ berichtete. Wolfs Augen- und Ohrenzeugenschaft schlug sich erst im Treatment „Heimkehr 45“ und dann in längeren, genau beobachtenden Episoden des Films nieder.
Saint-Exupéry-Verfilmung bald zugänglich?
Nachzutragen bleibt das Schicksal von Konrad Wolfs und Angel Wagensteins Friedensfilm der besonderen Art: „Der kleine Prinz“ erwachte am 14. Oktober aus dem Beinahe-Vergessen im Weißenseer Kino am Antonplatz. Die 1966 im Studio realisierte Produktion nach Antoine de Saint-Exupérys gleichnamigem Märchen verpasste wegen der von den Erben strittig verweigerten Urheberrechte am Buch den unmittelbar vorgesehenen Start im Farbfernsehen der DDR. Nur ein einziges Mal, offenbar aufgrund einer Ausnahmegenehmigung, wurde sie am 21. Mai 1972 aus Berlin-Adlershof gesendet. 2015 sind die Urheberrechte an dem Buch, soweit sie Antoine de Saint-Exupéry betreffen, in der Bundesrepublik und den meisten anderen Staaten der Welt erloschen. Das lässt Angel Wagenstein, Hauptdarstellerin Christel Bodenstein(-Wolf) und Moderator Paul Werner Wagner auf eine DVD hoffen.
Wagenstein hielt sich beim Drehbuch eng ans französische Originalmanuskript von 1943. Die von Saint-Exupéry erdachte „unirdische“ Begegnung, sein poetischer Appell mitten im Krieg um friedfertige Unterstützung und um wahrgenommene persönliche Verantwortung für andere, fußt auf authentisch erlebten Notlande-Situationen. Konrad Wolf rahmte sie mit friedlichen Luftaufnahmen über der französischen Mittelmeerküste. Dort ist der vom zurückeroberten Korsika aus startende Pilot Saint-Exupéry im freiwilligen Dienst für die Luftaufklärung am 31. Juli 1944 von einem deutschen Jagdflieger abgeschossen worden.