Callcenter wälzen Home-Office-Kosten auf die Belegschaft ab

Ab nach Hause

Nach der Deindustrialisierung, die in Schwerin mit der Konterrevolution 1990 einherging, ist die Callcenter-Branche nach der Helios-Klinik und Stadtverwaltung der größte Arbeitgeber in der Stadt. Niedriglöhne und Lohndrückerei waren bei Callcentern schon vor der Pandemie üblich. Nun eröffnet sich den Unternehmen die Möglichkeit, Beschäftigte ins Home-Office zu schicken und die damit verbundenen Kosten auf die Mitarbeiter abzuwälzen.

Robert Kühne arbeitet in Schwerin in einem Callcenter und kandidiert für die DKP auf Platz 1 der Landesliste Mecklenburg-Vorpommern für den Bundestag. UZ sprach mit ihm über seine Arbeitsbedingungen, Gegenwehr und Home-Office.

UZ: Wie hat sich deine Arbeitssituation in der Pandemie verändert?

Robert Kühne
Robert Kühne

Robert Kühne: Ich musste im Juli zu einem neuen Callcenter wechseln, weil ich sozusagen gewerkschaftlich aktiv war. Normalerweise haben wir bei meinem früheren „Arbeitgeber“ GLS immer im April oder Mai eine Lohnanpassung erhalten. Letztes Jahr haben meine Chefs rumgeheult, der Mutterkonzern „Royal Mail“ habe gemeint, die Kollegen in Spanien wären in Kurzarbeit und da könne man in Deutschland keine Gehaltserhöhung ausschütten.

Ich habe dann mit ein paar Kollegen nachgefragt, wie das sein könne, GLS Germany sei doch ein eigenständiges Unternehmen und könne auch eigenständig agieren. Der Chef sagte dann, wenn es uns nicht passt, dann könnten wir ja kündigen. Meine Antwort war dann, statt zu kündigen, können wir uns auch zusammenschließen und mal vor dem Betrieb stehen. Das hat dann gereicht, um gekündigt zu werden. Als Vorwand beschuldigten sie mich, einen Kollegen gemobbt zu haben. Der Kollege weiß bis heute nichts davon, dass er gemobbt wurde.

Die Geschäftsleitung wusste auch, dass sie damit nicht durchkommt. Deswegen habe ich eine Abfindung von 6.000 Euro gekriegt und wurde zwei Monate bezahlt freigestellt.

UZ: Wie haben das deine Kollegen aufgenommen?

Robert Kühne: Die waren fassungslos. Die konnten das nicht verstehen, zumal ich im Februar noch eine Prämie als einer der besten Mitarbeiter bekommen habe. Das Ganze hat sich aber gelohnt, meine Kolleginnen und Kollegen haben dann noch ihre Gehaltserhöhung bekommen.

Bei GLS gibt es zwar einen Gesamtbetriebsrat für ganz Deutschland. Der fühlt sich aber nicht zuständig für uns, weil das Callcenter von GLS eine eigenständige GmbH ist. Mein Chef sagte auch schon mal, wenn sich im Callcenter-Bereich ein eigenständiger Betriebsrat in Schwerin gründet, wird der Standort geschlossen.

UZ: Wie läuft es in deinem neuen Betrieb?

Robert Kühne: Bei meinem jetzigen Callcenter gibt es einen Betriebsrat. Von dem ist aber nichts zu erwarten, da sind nur konzerntreue Kollegen drin. Ich wüsste jetzt auch nicht, dass einer von den Kollegen des Betriebsrates in der Gewerkschaft ist.

Als ich im Juli dort angefangen habe, war der Großteil der Kolleginnen und Kollegen bereits im Home-Office. Ich gehörte der ersten Schulungsgruppe an, die nach dem ersten Lockdown angefangen hat. Während der Schulung hat man strikt auf Abstand und einen freien Arbeitsplatz zwischen uns geachtet. Wir durften auch nur zu zweit in den Pausenraum. Sobald die Schulung im November zu Ende war, haben sie uns dann alle ins Home-Office geschickt.

Bei uns sind gegenwärtig ungefähr 90 Prozent der Kollegen zu Hause. Arbeitsmaterial wie auch Computer und Monitore haben sie uns gebracht. Interessant wird es, wenn Strom- und Nebenkostenabrechnungen kommen – die durch das Home-Office natürlich in die Höhe steigen.

UZ: Welche Rolle spielt bei euch Home-Office?

Robert Kühne: Vor der Pandemie war der Home-Office-Anteil so gut wie Null und ziemlich verpönt. Weil die Callcenter-Betreiber davon ausgegangen sind, dass man zu Hause nicht so kontrollierbar ist wie im Center. Sie glaubten, man würde weniger arbeiten und für die Telefonate länger brauchen.

Durch die Pandemie waren sie zu Home-Office gezwungen. Da haben sie gemerkt, dass das sehr lukrativ für sie ist. Sie haben zum Beispiel weniger Stromkosten, Wasserkosten und Nebenkosten. Trotzdem arbeiten wir genauso viel wie vorher, bloß von zu Hause aus. Die Kosten, die jetzt der „Arbeitgeber“ spart, hat jetzt jeder Einzelne von uns. Darüber hinaus können sie sogar Büroflächen abstoßen, die sie gemietet haben.

Ich gehe davon aus, dass die Callcenter auch nach der Pandemie Home-Office ins Auge fassen werden. Nicht nur Kostenersparnisse, sondern auch die Möglichkeit, die fünfzigjährige Mutti, die irgendwo auf dem Dorf sitzt und kein Auto hat, noch ausbeuten zu können, macht das attraktiv.

UZ: Gibt es denn Versuche seitens der Gewerkschaften, euch irgendwie zu organisieren?

Robert Kühne: Es gibt vom ver.di-Fachbereich 13, der für Callcenter zuständig ist, einen Stammtisch für Gesamt-Schwerin. Der Organisierungsgrad ist bei uns jedoch schlecht. Bei mir im Callcenter arbeiten circa 500 Kolleginnen und Kollegen, jedoch sind nur circa 20 in der Gewerkschaft.

Wir hatten vor ein paar Wochen die erste Versammlung seit eineinhalb Jahren, und das als Online-Treffen. Das mit dem Home-Office wird noch schlimmer. Deshalb müssen wir gemeinsam als Gewerkschaft überlegen, wie wir dann an die Leute rankommen.

Call- und Service-Center (CSC) nehmen für viele Unternehmen eine wichtige Stellung ein. Insbesondere große Unternehmen mit intensivem Kundenkontakt, wie Finanzdienstleister, Energieversorger, Telekommunikationsunternehmen sowie der Versand- und Onlinehandel nutzen solche spezialisierten Serviceeinheiten für Vertrieb, Kundenbetreuung, Bestellbearbeitung oder technischen Support. Zu Beginn der 2000er Jahre begann die starke Expansion der Call-und-Service-Center-Branche. Die Anzahl der unternehmensunabhängigen, externen CSC verzehnfachte sich zwischen 2002 bis 2007. Seitdem hat sich die Branche konsolidiert. 2018 waren insgesamt etwa 500.000 Beschäftigte in internen oder externen Callcentern tätig.

Quelle: Hans-Böckler-Stiftung

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"Ab nach Hause", UZ vom 16. April 2021



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