„Die Marbacher“ haben sich zum runden Geburtstag ein Buch geschenkt

50 Jahre und kein bisschen leise

Bei Warnstreiks, Ostermärschen, Frauentagsveranstaltungen und auch auf vielen UZ-Pressefesten waren und sind sie dabei: „Die Marbacher“. Und das seit 50 Jahren. Über diese Zeit und die Entwicklung des Arbeiterlieds haben sie nun nicht nur ein Jubiläumsprogramm gemacht, sondern auch ein Buch herausgegeben. Darüber sprach UZ mit Bernhard Löffler.

UZ: Bernhard, du bist das „Urgestein“ der „Marbacher“ und seit 50 Jahren dabei. Wie blickst du auf diese lange Zeit zurück?

Bernhard Löffler: Die letzten 50 Jahre waren geprägt von unserer Jugend und unseren Träumen und Wünschen nach Frieden, sozialer Gerechtigkeit, guter Arbeit und all den Kämpfen, die versuchten, diese Hoffnungen und Wünsche zu verwirklichen. Begleitet haben wir all diese Gedanken mit unseren Liedern, um der Arbeiterinnenbewegung, der Friedens- oder der Ökologiebewegung Lieder zu geben, welche die Kraft geben, gemeinsam zu handeln, solidarisch zusammenzustehen und gemeinsam zu singen.

UZ: Zum 50. Geburtstag habt ihr euch, eurem Publikum und am Arbeiterlied Interessierten ein Buch geschenkt. Wie kam es zu der Idee?

Bernhard Löffler: Nach der „Proletenpassion“ (ein politisches Oratorium der „Schmetterlinge“ aus dem Jahre 1977) haben wir festgestellt, dass wieder mal die Geschichte der Arbeiterbewegung nicht fortgeschrieben wurde. Auch heute wird immer noch eher über Königshäuser, Tik-Tok-Klicks und die „Schönen und Reichen“ berichtet als über die Kämpfe der Arbeiter- und demokratischen Bewegungen. Wer aber erbaute das siebentorige Theben? Wer erreichte die Besserstellung der Frauen und die 35-Stunden-Woche? Wer hat für mehr soziale Gerechtigkeit, Mitbestimmung und die Aufmerksamkeit für die Umweltkatastrophen gesorgt? Das sind und waren wir – und deshalb wollen wir darüber berichten. Wir erzählen dies in unserem Buch. Was passierte aus Sicht der Arbeiterbewegung in den letzten 50 Jahren und was sind die Geschichten aus Sicht einer Musikgruppe, die all diese Kämpfe begleitete und seit 50 Jahren fragt: Was kann in dieser Zeit ein Lied? Abgerundet wird das Buch dann mit der Frage: Wo steht das Arbeiterinnenlied heute und hat es heute noch seine Berechtigung?

UZ: Es geht ja um mehr als nur um euch als Musikgruppe – wie sind eure Erinnerungen an 50 Jahre aktiv fürs Arbeiterlied eingebettet?

Bernhard Löffler: Wir haben die großen regionalen Kämpfe der Arbeiterinnen- und Friedensbewegung mit unseren Liedern mitgestaltet und begleitet. Im April 2025 feiern wir „50 Jahre Marsch auf Heilbronn“. Damals – im April 1975 – sollte das Audi-Werk in Neckarsulm geschlossen werden, was die Kollegeninnen zum Arbeitskampf veranlasste. Auf Initiative der IG Metall solidarisierten sich die DGB-Gewerkschaften und die gesamte Region, um für den Erhalt des Werkes zu kämpfen. Und natürlich haben wir mit unseren Liedern gegen die drohende Schließung angesungen. Letztendlich waren wir erfolgreich, das Audi-Werk ist nach wie vor der größte Arbeitgeber der Region.

Oder: Die Stationierung von atomaren Pershing-II-Raketen auf der Waldheide in Heilbronn brachte die Friedensbewegung auf die Straße. Wir haben an der „Künstlerblockade“ des Raketendepots teilgenommen und haben mit unseren Liedern den Widerstand kulturell bereichert. Das alles, noch bevor mit der Explosion einer Pershing-II-Trägerrakete am 11. Januar 1985 drei US-Soldaten ums Leben kamen, weitere 16 Schwerverletzte zu beklagen waren und unsere Stadt fast in die Katastrophe gestürzt wäre.

Am folgenden Ostermarsch in Heilbronn nahmen 30.000 Menschen teil und durften wir „Marbacher“ auf der Hauptbühne mit Fasia Jansen auftreten.

UZ: Neben solchen Auftritten wie beim Ostermarsch wart ihr als Band viel im Ausland unterwegs, in der DDR, in Italien und anderswo – welche Begegnungen haben euch besonders beeindruckt?

Bernhard Löffler: Allen unseren Auslandsauftritten war – egal ob Nord (Island) oder Süd (Italien), ob West (Belgien) oder Ost (DDR, Russland, Polen, Rumänien) – die große entgegengebrachte Freundschaft und Solidarität gemein. Überall großartige Begegnungen und spannende Diskussionen. Nachdem die DDR-Singegruppen die Programmatik „DDR konkret“ verfolgten, nahmen wir 1983 dann unser Programm „BRD konkret“ in die DDR mit: Erstaunen, dass es bei uns in der BRD schon damals Arbeitslosigkeit gab und wir Lieder aus der Anti-AKW-Bewegung mitbrachten. Übereinstimmungen beim Traum vom Frieden und der Internationalen Solidarität. Oder in Island (April 2015): fünf Auftritte in sieben Tagen – Schneestürme, Auftritte in kleinen Kirchen und in einer Orgelwerkstatt sowie immer wieder Einladungen, tolle Gespräche und Gastfreundschaft. Beim Grushin-Festival in Samara/Russland (1997) spielten wir im Nachtkonzert vor 140.000 Menschen, – unbeschreiblich der Jubel aus so vielen Kehlen: Mir und Drushba!

UZ: Gibt es politische Ereignisse, die eure musikalische Arbeit besonders beeindruckt und geprägt haben?

Bernhard Löffler: Am Anfang waren die Berufsverbote, die wir zutiefst undemokratisch fanden, in den Achtzigern besonders die Friedensbewegung gegen die Mittelstreckenraketen-Stationierung, aber auch das Erstarken der Frauenbewegung mit zunehmend mehr Frauentagsveranstaltungen. Ständiger Begleiter über die letzten 50 Jahre war für uns als Naturfreundegruppe das Thema Ökologie, die Verbesserung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, der Kampf gegen die AKWs und heute für den Klimaschutz und regenerative Energien. Natürlich spielte auch der Kampf gegen Faschismus und Rechtspopulismus immer eine große Rolle. Mit den Überlebenden der KZs veranstalteten wir viele Gedenkfeiern, um zu erinnern und vor dem aufkeimenden Rechtsextremismus zu warnen. Heute treten wir häufig bei Gedenkfeiern auf, um durch unsere Lieder weiter aufzuklären und gegen das Vergessen anzusingen. Geprägt haben uns auch immer die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen und Streiks. Besonders intensiv unterwegs waren wir dabei im Kampf um die 35-Stunden-Woche, heute schreiben wir auch Arbeiterinnenlieder zur industriellen Transformation oder zum Pflegenotstand.

UZ: Im Buch beschreibst du auch eure Auftritte bei Streiks oder Warnstreikaktionen. Wie reagieren die Streikenden heute auf Arbeiterlieder?

Bernhard Löffler: Die Stärke des Arbeiterlieds besteht nicht im Konsumieren, sondern im direkten Begreifen, dass die Lieder uns etwas aus unserer Kampfsituation im gemeinschaftlichen Erleben erzählen. Deshalb ist gemeinsames Singen wichtig. Energie gibt uns als Musikgruppe, wenn unsere Lieder mitgesungen werden. Eine unserer Mitsängerinnen wird in unserem Buch so zitiert: „Wenn ich dann am Abend nach unserem Auftritt bei einer Streikaktion für die Audi-Belegschaft in Neckarsulm eine Mail erhalte, dass alle Kollegen noch den ganzen Tag am Band unseren Refrain gesungen hätten, gibt uns das ganz viel zurück!“

Oder auch dies: Bei unserem Lied „Bessere Bildung“ ergänzten tausende Lehrer bei einer GEW-Kundgebung: „Bildung hat ihren Preis, alles andere ist der letzte …“ Das erfreut uns, daraus schöpfen wir unsere Kraft!

UZ: Was stehen in diesem Jubiläumsjahr für euch für Konzerte an?

Bernhard Löffler: In Ergänzung zu unserem Buch haben wir aus all den Erfahrungen ein Jubiläumsprogramm erarbeitet. „Was kann in dieser Zeit ein Lied – 50 Jahre Zeitgeschehen im Spiegel des Arbeiter*innen-Lieds“. Darin spielen wir eigene Songperlen aus einem halben Jahrhundert demokratischer und Arbeiterbewegung. Wir haben damit eine kleine „Proletenpassion II“ geschaffen. Mit Erlebnissen der Musikgruppe aus unserer bewegten Geschichte, aber eben auch Blitzlichtern der „Geschichte von unten“, wird so Geschichte musikalisch lebendig. Das Publikum spiegelt bei unserem Jubiläumsprogramm wider, dass sie in den Kosmos der eigenen Erinnerungen an die Friedensbewegung, die internationale Solidarität, den Kampf gegen Faschismus oder die Arbeitskämpfe der letzten 50 Jahre eintauchen konnten.

UZ: Und – last but not least – was kann es denn nun, in dieser Zeit, das Lied?

Bernhard Löffler: „Erinnern, immer wieder wachrütteln, Solidarität üben und benennen, sich der kriegsaffinen Auslegung von Zeitenwende entgegenstemmen.“ (Hartmut König)

Und auch dies:

„Was kann in dieser Zeit ein Lied? Kann nur im Atem leben und durch den Menschen, der sich wehrt, der von der Kraft des Friedens zehrt und diesen braucht es eben.

Was kann in dieser Zeit ein Lied? Was kann es also schaffen? Kann machen, dass die Menschen seh‘n und Frieden als ihr Wort versteh‘n und dabei sogar lachen.“

(Titelsong des Buchs und des Jubiläumsprogramms – Musik: „Marbacher“, Text: Oktoberklub/„Marbacher“)

Die Fragen stellte Melina Deymann

„Die Marbacher“
Was kann in dieser Zeit ein Lied?
50 Jahre Zeitgeschehen im Spiegel des Arbeiter*innen-Liedes
Ein Lese- und Bilderbuch zu 50 Jahren Zeitgeschichte und Kultur
94 Seiten, 10 Euro
Erhältlich unter uzshop.de

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"50 Jahre und kein bisschen leise", UZ vom 25. April 2025



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