Nach ihrem Start in Ecuadors Hauptstadt Quito fanden die Friedensverhandlungen zwischen den Delegationen der Regierung Kolumbiens und des Nationalen Befreiungsheers (ELN) seit einem Dreivierteljahr in Havanna statt. Während des gesamten Verlaufs der Gespräche schien der Wille der kolumbianischen Regierung eher begrenzt; auch das ELN selbst schien phasenweise mehr von den äußeren Ereignissen getrieben – vornehmlich dem Druck, nach dem Abschluss zwischen Staat und FARC-EP vor mehr als zwei Jahren die einzige größere bewaffnete Oppositionskraft im Land geblieben zu sein – als von innerer Überzeugung, dass der Verhandlungsweg der richtige wäre.
Die nach der freiwilligen Waffenabgabe der FARC nicht nachlassenden, sondern sogar zunehmenden Angriffe auf Anführer von Bauern- oder gewerkschaftlicher Organisationen mit einer neuen Höchstzahl an Morden, auch auf ehemalige Guerilleros selbst, geben der Skepsis des ELN Recht. Warum sollte ihnen nach einer Waffenübergabe ein anderes Schicksal drohen? Kolumbianische Quellen berichten von einer Rückkehr von nicht wenigen Entwaffneten in den Untergrund.
Nach der Explosion einer Autobombe vor der Santander-Polizeiakademie in Bogotá am 17. Januar mit 21 Toten hat die Regierung die Gespräche mit dem ELN sofort abgebrochen. Der im Auto gestorbene José Aldemar Rojas wurde als „Mocho Kiko“ identifiziert, der unter diesem Pseudonym angeblich ein Sprengstoffexperte des ELN war. Angesichts der Massivität des Anschlags auf Polizisten ist unklar, ob der kolumbianische Geheimdienst, so wie mehrfach bei früheren Attentaten belegt, auch hier seine Finger im Spiel hatte. Jedenfalls ist ein Selbstmordattentat in der Geschichte der politischen Gewalt Kolumbiens eine Neuheit.
Wie dem auch sei – Kolumbiens Regierung glaubt nicht nur den Krieg gegen die verbliebenen ELN-Guerilleros militärisch besser lösen zu können als mit Zugeständnissen am Verhandlungstisch, sondern verlangt dazu ausgerechnet von Kuba – einem der Garantenländer für die Gespräche und nach Ecuador auch deren Gastgeber – die Auslieferung der Gesprächspartner, also der Mitglieder der ELN-Verhandlungsdelegation. Diese werden nach Lage der Dinge zunächst auf Kuba bleiben, wie es in einem Kommuniqué des ELN am 31. Januar hieß, denn entgegen den im April 2016 geschlossenen Vereinbarungen für den eventuellen Fall des Abbruchs der Gespräche weigert sich die kolumbianische Regierung, deren Rückkehr in die Guerilla-Camps zu garantieren. Kubas Regierung hat in einer Erklärung verlautbart, dass sie sich grundsätzlich an die Vereinbarungen gebunden fühlt. Da Kolumbien jedoch die ELN-Delegation als „Terroristen“ ansieht, läuft Kuba angesichts der engen Verbindungen der Regierung Kolumbiens zu den USA nun Gefahr, auf deren Liste „Terror unterstützender Staaten“ zu landen. Und das ist kein Nebenaspekt.
Leicht satirisch mutet das Ganze dann aber doch noch durch einen wie zufällig ins Fernsehbild gehaltenen Notizblock des US-Sicherheitsberaters John Bolton an: „5 000 troops to Colombia“. Man muss wohl davon ausgehen, dass Bolton die scheinbare Unachtsamkeit tatsächlich als psychologisch geschickt ansieht. Sein Chef im Oval Office wird ihn dennoch rügen, denn statt Kugelschreiber benutzt dieser für die Unkonzentrierten unter den Zuschauenden einen deutlich besser lesbaren Permanentmarker, wenn er vor laufenden Kameras Dekrete unterschreibt. Auch mimte Bolton weniger die Entschlossenheit eines „Dealmakers“ à la Trump, sondern eher einen besorgten Dackelblick.
Wer der Zettelbotschaft vorsichtshalber doch lieber etwas mehr Ernsthaftigkeit zubilligt, sei darauf hingewiesen, dass die US-Armee wohl kaum von Kolumbien aus einen Dschungelkampf gegen Venezuela anstrebt, sondern in erheblich kürzerer Zeit mit Kampfflugzeugen über Caracas auftauchen könnte. Denn erstens würde ein Krieg nur dann schnell gewonnen werden können, wenn die venezolanischen Streitkräfte mindestens gespalten wären, wonach es derzeit nicht aussieht. Unwahrscheinlich, aber schon eher eine Option ist, dass US-Militärberater eine kolumbianische Invasion anleiteten, wofür auch keine „5 000 Troops“ gebraucht würden. Und zweitens würde ein Krieg gegen ein lateinamerikanisches Land den vor zehn Jahren erfolgreich eingeleiteten Rollback-Prozess ruckartig beenden, gäbe es der diskreditierten Linken mehrerer Länder doch die glänzende Möglichkeit der Massenmobilisierung. Dann würde die Express-Anerkennung Juan Guaidós durch die US-Regierung bei den Rechten nicht nur für Unbehagen sorgen, sondern sich sogar als vergiftetes Geschenk erweisen.