Vor dieser Jury, scheint es, konnte die preußische Regierung den geraden Weg einschlagen und einen einfachen Tendenzprozess machen. Die von Bürgers, Nothjung et cetera als echt anerkannten und bei ihnen selbst abgefassten Dokumente bewiesen zwar kein Komplott; sie bewiesen überhaupt keine Handlung, die durch den Code pénal (Strafgesetzbuch) vorgesehen ist, allein sie bewiesen unwiderleglich die Feindschaft der Angeklagten gegen die bestehende Regierung und die bestehende Gesellschaft. Was der Verstand des Gesetzgebers versäumte, konnte das Gewissen der Geschworenen nachholen. War es nicht eine List der Angeklagten, ihre Feindschaft gegen die bestehende Gesellschaft so einzurichten, dass sie gegen keine Paragrafen des Gesetzbuchs verstieß? Hört eine Krankheit auf, ansteckend zu sein, weil sie in der Nomenklatur der Medizinalpolizeiordnung fehlt? Hätte sich die preußische Regierung darauf beschränkt, aus dem tatsächlich vorliegenden Material die Schädlichkeit der Angeklagten nachzuweisen, und die Jury sich damit begnügt, sie durch ihr „Schuldig“ unschädlich zu machen, wer konnte Regierung und Jury angreifen? Niemand als der blöde Schwärmer, der einer preußischen Regierung und den in Preußen herrschenden Klassen Stärke genug zutraut, auch ihren Feinden, solange sie sich auf dem Gebiete der Diskussion und der Propaganda halten, freien Spielraum gewähren zu können.
Indes, die preußische Regierung hatte sich selbst von dieser breiten Heerstraße politischer Prozesse abgeschnitten. Durch die ungewöhnliche Verschleppung des Prozesses, durch die direkten Eingriffe des Ministeriums in den Gang der Untersuchung, durch die geheimnisvollen Hinweisungen auf ungeahnte Schrecken, durch Prahlereien mit Europa umstrickender Verschwörung, durch die eklatant brutale Behandlung der Gefangenen war der Prozess zu einem Monsterprozess aufgeschwellt, die Aufmerksamkeit der europäischen Presse auf ihn gelenkt und die argwöhnische Neugierde des Publikums aufs Höchste gespannt. Die preußische Regierung hatte sich in eine Position gedrängt, wo die Anklage anstandshalber Beweise liefern und die Jury anstandshalber Beweise verlangen musste. Die Jury stand wieder selbst vor einer andern Jury, vor der Jury der öffentlichen Meinung.
(…)
Das bei den Angeklagten vorgefundene „Manifest der Kommunistischen Partei“, vor der Februarrevolution gedruckt, seit Jahren im Buchhandel befindlich, konnte seiner Form und Bestimmung nach nicht das Programm eines „Komplotts“ sein. Die saisierten (beschlagnahmten) Ansprachen der Zentralbehörde beschäftigten sich ausschließlich mit dem Verhältnis der Kommunisten zur künftigen Regierung der Demokratie, also nicht mit der Regierung Friedrich Wilhelms IV. Die „Statuten“ endlich waren Statuten einer geheimen Propagandagesellschaft, aber der Code pénal enthält keine Strafen gegen geheime Gesellschaften. Als letzte Tendenz dieser Propaganda wird die Zertrümmerung der bestehenden Gesellschaft ausgesprochen, aber der preußische Staat ist schon einmal untergegangen und kann noch zehnmal wieder untergehen und definitiv untergehen, ohne dass der bestehenden Gesellschaft auch nur ein Haar ausfällt. Die Kommunisten können den Auflösungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft beschleunigen helfen und dennoch der bürgerlichen Gesellschaft die Auflösung des preußischen Staates überlassen. Wessen direkter Zweck es wäre, den preußischen Staat zu stürzen, und wer zu diesem Behuf die Zertrümmerung der Gesellschaft als Mittel lehrte, der gliche jenem verrückten Ingenieur, der die Erde sprengen wollte, um einen Misthaufen aus dem Weg zu räumen.
Aber wenn das Endziel des Bundes der Umsturz der Gesellschaft, so ist sein Mittel notwendig die politische Revolution, und er impliziert den Umsturz des preußischen Staates, wie ein Erdbeben den Umsturz des Hühnerstalles impliziert. Aber die Angeklagten gingen nun einmal von der frevelhaften Ansicht aus, dass die jetzige preußische Regierung auch ohne sie fallen werde. Sie stifteten daher keinen Bund zum Sturz der jetzigen preußischen Regierung, sie machten sich keines „hochverräterischen Komplotts“ schuldig.
Hat man die ersten Christen je angeklagt, ihr Zweck sei, den ersten besten römischen Winkelpräfekten zu stürzen? Die preußischen Staatsphilosophen von Leibniz bis Hegel haben an der Absetzung Gottes gearbeitet, und wenn ich Gott absetze, setze ich auch den König von Gottes Gnaden ab. Hat man sie aber wegen Attentats auf das Haus Hohenzollern verfolgt?
Man konnte also die Sache drehen und wenden, wie man wollte, das vorgefundene Corpus Delicti verschwand wie ein Gespenst vor dem Tageslicht der Öffentlichkeit. Es blieb bei der Klage des Anklagesenats, dass „kein objektiver Tatbestand“ vorliege, und die „Partei Marx“ war böswillig genug, während der eineinhalb Jahre, die die Untersuchung währte, kein Jota zu dem vorliegenden Tatbestand zu liefern.