Chile stimmt im April über die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung ab

30 Jahre sind genug

Manuela Tovar

Am 26. April sollen die Chilenen abstimmen, ob sie die Ausarbeitung einer neuen Verfassung unterstützen. Die Abstimmung war im vergangenen November unter dem Eindruck der anhaltenden Massenproteste von der Mehrheit der im Parlament des südamerikanischen Landes vertretenen Parteien vereinbart worden. Die aktuell in Chile geltende Verfassung wurde zwar mehrfach geändert, geht im Kern aber noch auf die Zeit der Pinochet-Diktatur zurück. Sie wurde 1980 von den Militärs dekretiert, um ihrer mit dem Putsch vom 11. September 1973 und der Ermordung des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende etablierten Herrschaft den Anschein von Legalität zu verleihen.

Zur Abstimmung stehen zwei Punkte. Zuerst sollen die Chilenen entscheiden, ob sie generell eine neue Verfassung haben wollen. Geht es nach den Umfragen, dürfte sich eine überwältigende Mehrheit dafür aussprechen – die Prognosen reichen von 67 bis über 90 Prozent Zustimmung. In einer zweiten Frage geht es darum, ob das neue Grundgesetz von einem „gemischten“ oder einem reinen Verfassungskonvent ausgearbeitet werden soll. Bei der „gemischten“ Variante soll die Verfassunggebende Versammlung zur Hälfte aus den Abgeordneten des gegenwärtigen Parlaments und zur anderen Hälfte aus neugewählten Delegierten bestehen. Die Alternative ist ein komplett neugewählter Konvent. Die Meinungsforschungsinstitute sehen letztere Option klar vor der „gemischten“ Variante, was in Chile auch als klares Misstrauensvotum gegenüber dem jetzigen Parlament und der Regierung gewertet wird.

Die Kommunistische Partei Chiles hat zusammen mit zahlreichen weiteren Parteien und sozialen Organisationen das Bündnis „Apruebo Chile Digno“ („Ich stimme dem würdigen Chile zu“) gebildet. Die Partei veröffentlichte vor wenigen Tagen eine Erklärung aus Anlass des 30. Jahrestages der „paktierten Transition“, die den Übergang von der Diktatur zur parlamentarischen Demokratie ermöglicht habe, nun aber „erschöpft und durch die tiefe Spaltung der Gesellschaft in Frage gestellt“ sei. Am 11. März 1990 hatte der Christdemokrat Patricio Aylwin als erster demokratisch gewählter Präsident seit dem Putsch 1973 das höchste Staatsamt übernommen. Zudem jährt sich 2020 auch zum 50. mal die Wahl Allendes und damit der Versuch, auf friedlichem Wege den Sozialismus aufzubauen. „Nur mit einem faschistischen und bürgerlich-militärischen Putsch konnten sie die Regierung von Salvador Allende und der Unidad Popular stürzen, eine Operation, die in der Wiege des nordamerikanischen Imperialismus entworfen, geplant und durchgeführt wurde“, heißt es in dem von der KP Chiles veröffentlichten Manifest. „Heute stehen wir hier und erheben unsere Banner, um zu sagen, dass dieses emanzipatorische Projekt noch nicht abgeschlossen, aber nicht besiegt ist.“

Die Kommunisten fordern auch den sofortigen Rücktritt von Staatschef Sebastián Piñera und vorgezogene Parlamentswahlen als Konsequenz aus den anhaltenden Protesten gegen seine neoliberale Regierung. Zuletzt waren aus Anlass des Internationalen Frauentages am 8. und 9. März mehrere Millionen Chileninnen und Chilenen auf die Straße gegangen und hatten die Arbeit niedergelegt. Der Gewerkschaftsbund CUT drohte bereits damit, einen weiteren Generalstreik auszurufen, wenn die Regierung den Protest der Bevölkerung weiter ignoriere. Es sei die beständige Mobilisierung von Millionen Menschen gewesen, die Chile so weit gebracht habe, „Es gibt keinen Weg zurück“, erklärte CUT-Chefin Bárbara Figueroa. „Zwei Jahre nach dem Amtsantritt von Sebastián Piñera als Präsident Chiles sehen wir erschüttert und besorgt seine Unfähigkeit, gegenüber einer Bevölkerung zu regieren, die in einer Gesellschaft voller Ungerechtigkeit und Ungleichheit grundlegende und strukturelle Veränderungen fordert. Weit entfernt davon, die politische und soziale Krise zu bewältigen, vertieft und verschärft er sie mit seinen unpassenden Erklärungen und dem Fehlen einer Antwort auf die Forderungen der Bürgerschaft.“

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"30 Jahre sind genug", UZ vom 20. März 2020



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