Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Der Kampf der Heinze-Frauen • Von Valentin Zill

29 starke Frauen – den „Unken“ zum Trotz

Ihre Geschichte beginnt mit einer zufälligen Entdeckung. Ein Kollege hatte seinen Lohnstreifen am Arbeitsplatz liegen gelassen, gut sichtbar. Eine Kollegin warf einen Blick darauf und sah schwarz auf weiß, was viele Frauen im Betrieb schon länger geahnt hatten: Die Männer wurden für die gleiche Arbeit besser bezahlt als sie. Zwei Kolleginnen gingen zum Betriebsrat. Anfang 1978 war das. „Versprochen hatten wir uns ja eigentlich nicht viel, weil es bei uns schon immer so war, dass die Frauen nicht so zusammenhielten, wenn mal was war“, sagt Gerda in dem Buch „Wir wollen gleiche Löhne! Dokumentation zum Kampf der 29 ‚Heinze‘-Frauen“.

Gerda ist eine dieser 29 Heinze-Frauen, die mit ihrem Kampf für gerechte Löhne Geschichte geschrieben haben. Aus ihrem Kampf, aus ihren Erfahrungen lässt sich manches lernen für heutige gewerkschaftliche und feministische Kämpfe.

Selbst Ferienjobber wurden besser bezahlt

Foto Heinze war ein in Gelsenkirchen ansässiger Betrieb mit zahlreichen Großlabors in der BRD. In Nordrhein-Westfalen war die Firma Quasi-Monopolist. In Heinzes Fotolabors arbeiteten anfangs nur Frauen. Als die Firma im Januar 1978 auf 24-Stunden-Dienst umstellte, begann sie, auch Männer einzustellen. Damals galt Nachtarbeitsverbot für Frauen. Die Nachtschicht musste also von Männern bestritten werden. Die leisteten dieselbe Arbeit wie ihre Kolleginnen – zumindest, nachdem die ihre neuen Kollegen an den verschiedenen Maschinen angelernt hatten.

Bei Heinze wurde nach Tarif bezahlt. Dazu kam eine übertarifliche Zulage. Fast alle Männer erhielten eine, meist 1,50 DM pro Stunde. Die meisten Frauen bekamen keine, und wenn, dann lediglich 0,12 DM, 0,24 DM oder höchstens 1,04 DM. De facto mussten sich Frauen bei Heinze im Schnitt mit 6 DM Stundenlohn begnügen, während Männer 7,50 DM bekamen. Selbst Ferienjobber wurden besser bezahlt als die Frauen. „Wir mussten uns auch noch den Spott von den Männern gefallen lassen“, erinnert sich Heinze-Frau Angelika.

Auf einer Betriebsversammlung im Oktober 1978 hält Marianne Kaiser ein Referat über Paragraph 75 Betriebsverfassungsgesetz, über die Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Betrieb. Sie arbeitet damals als Pädagogische Mitarbeiterin der VHS Gelsenkirchen und engagiert sich in der IG Druck und Papier. Kaiser zeigt auf, wie Unternehmen die Löhne von Frauen drücken. Und sie nennt Beispiele für erfolgreiche gewerkschaftliche Kämpfe für Lohngerechtigkeit. Heinze-Frau Margarete fragt anschließend den Geschäftsführer, weshalb er Frauen weniger zahle als Männern. Für das Geld bekommt man halt keinen Mann, antwortet der lapidar.

Männer fremdeln mit Mut ihrer Frauen

Auf außerbetrieblichen Versammlungen der IG Druck und Papier im Oktober und November 1978 reift der Entschluss der Heinze-Frauen, sich juristisch zu wehren. 29 Frauen trauen sich – den „Unken“ zum Trotz. So nennen die, die kämpfen, bald jene Kolleginnen, die der Ansicht sind, dass sie gegen die Firmenleitung nichts ausrichten können. Manche haben Angst, gefeuert zu werden. Einige der 29 Mutigen haben keinen Rückhalt zuhause: Ihre Ehemänner fremdeln mit der Courage der Gattin. Manche brauchen bis zum ersten Sieg vor Gericht, bis sie deren Kampf endlich gutheißen.

Der Versuch, Recht vor Gericht zu bekommen, hat auch Nachteile. Gisela Kessler sah die damals. Sie arbeitete als Frauensekretärin im Hauptvorstand der IG Druck und Papier. Nach der Niederlage in zweiter Instanz, vor dem Landesarbeitsgericht in Hamm, sagt sie rückblickend, Klageverfahren seien „eigentlich nicht so der richtige Weg“. Sie und andere Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter legen die Klage von Anfang an als geschlossene Aktion von 29 Frauen an, die zusammenstehen, nicht als „reine Prozessführung“. Kesslers Begründung: „Wir wollen Mobilisierung, wir wollen Bewusstseinsentwicklung, wir wollen, dass sich in den Köpfen was bewegt.“ Die Heinze-Frauen sollten lernen, selbstbewusster zu werden – und dass Solidarität sie weit bringt.

Heinze-Frauen gehen vor Presse und Gericht

Auf einer Pressekonferenz am 11. Januar 1979 machen die 29 Mutigen ihre Klage publik. Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß. Der WDR und überregionale Zeitungen berichten. Unzählige Solidaritätsbekundungen erreichen die Heinze-Frauen. Als einzige Partei unterstützt die DKP ihren Protest. Vor der Urteilsverkündung in erster Instanz am 10. Mai 1979 zieht eine Großdemonstration zum Gelsenkirchener Arbeitsgericht. Die Gewerkschaft verteilt 2.000 Flugblätter. Das Interesse an dem Prozess ist so groß, dass Prozessbeobachterinnen einen „Info-Treff“ der IG Druck und Papier vor dem Gericht laufend mit Neuigkeiten aus dem viel zu kleinen Verhandlungssaal versorgen müssen. Fasia Jansen demonstriert mit und hat ihre Gitarre dabei. „Ich habe dreimal in meinem Leben geweint“, sagt sie später. „Einmal, als die Panzer kamen und der Faschismus zu Ende war; dann bei der Rheinpreußen-Siedlung, als der Bürgermeister kommen musste und sagen: ‚Ihr habt gewonnen‘; und jetzt, bei den Heinze-Frauen.“

Mehr Gegenliebe als Schalke nach einem Sieg

Die Firma Heinze lässt sich von Anwälten des Arbeitgeberverbandes Emscher-Lippe vertreten. Diese weisen den Vorwurf der Diskriminierung zurück und leugnen den grundsätzlichen Charakter des Verfahrens. Damit kommen sie nicht durch: Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen gibt den Heinze-Frauen recht und verurteilt die Firma dazu, die Differenz zu den Löhnen der Männer nachzuzahlen. Die Siegerinnen feiern auf einer Spontandemonstration durch Gelsenkirchen. Dabei stoßen sie auf „mehr Gegenliebe (…) als Schalke-Fans nach gewonnenem Spiel“, freut sich Christine Becker in der Gewerkschaftszeitung „druck + papier“ 11/1979. Die Heinze-Frauen finden: „Selbst wenn wir verloren hätten, es hätte sich gelohnt.“

Diese Erkenntnis trägt die 29 Mutigen durch den Rest der Auseinandersetzung. Die Firma Heinze beantragt Revision. Am 19. September 1979 hebt das Landesarbeitsgericht Hamm das Gelsenkirchener Urteil auf. Wir waren „enttäuscht und empört und lernten den Unterschied zwischen Recht haben und Recht bekommen“, schreiben die Heinze-Frauen in der Dokumentation „Wir wollen gleiche Löhne!“. Noch im Gerichtssaal reift der Entschluss, nach Kassel vor das Bundesarbeitsgericht zu gehen. „Jetzt erst recht“, sagen sich die Kolleginnen. DGB-Rechtssekretär Clemens Franzen schreibt seinen Mandantinnen später: „Ich habe selten so engagierte, aufgeschlossene und mitwirkende Mandantinnen gehabt wie euch.“

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Solidaritätsdemo der IG Druck und Papier am 6. September 1981 in Kassel. Drei Tage später bekommen die Heinze-Frauen vor dem dortigen Bundesarbeitsgericht Recht. (Foto: Manfred Scholz)

Am 6. September 1981 lädt die IG Druck und Papier zu einer Solidaritätsveranstaltung nach Kassel. Motto: „Mütter, Väter, Töchter, Söhne – kämpfen für die gleichen Löhne!“ 7.000 Menschen kommen aus der ganzen Bundesrepublik. Drei Tage später hebt das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung aus Hamm auf: Das erstinstanzliche Urteil aus Gelsenkirchen gilt.

Das können alle anderen Frauen auch

Dieses Urteil, meldet „druck + papier“ in Ausgabe 19/1981, habe „in allen Betrieben praktische Bedeutung“. Fortan müsse der „Arbeitgeber“ bei ungleicher Bezahlung beweisen, dass die Lohnunterschiede nichts mit dem Geschlecht zu tun hätten. Henner Wolter, Justitiar der IG Druck und Papier, ist erleichtert: „Es ist nicht mehr möglich, mit einem übertariflichen Verwirrspiel Frauendiskriminierung zu verschleiern.“ Für Gisela Kessler war das Urteil ein „Hebel zum Sieg“, der müsse nämlich „in den Betrieben durchgesetzt werden“.

Die Heinze-Frauen hatten nichts von ihrem Sieg – jedenfalls nicht in finanzieller Hinsicht. Ende 1981 klagen sie erneut auf Nachzahlung der übertariflichen Zulagen und gewinnen wieder. Doch am 21. Januar 1983 ist Foto Heinze pleite. Keinen Pfennig hatte die Firma nachgezahlt.

Was sie gelernt haben, konkret und praktisch: „Solidarität ist nicht nur schön, sondern auch wichtig. Man ändert sich. Vor drei Jahren hätte ich das nicht gebracht, irgendwo hinzugehen und irgend etwas zu sagen.“ So formulierte es die Heinze-Frau Grete Prill auf einem Forum in Düsseldorf im Mai 1982 – einem gemeinsamen Forum mit den Schickedanz-Frauen, die ebenfalls für Lohngerechtigkeit kämpften, ermutigt durch die Erfolge ihrer Kolleginnen in Gelsenkirchen. „Lasst euch auf keinen Fall einschüchtern“, rieten die Heinze-Frauen den Kolleginnen bei Schickedanz.

Der Kampf der Heinze-Frauen schlug auch international Wellen. Die Ruhrfestspiele Recklinghausen gaben das Theaterstück „Frauen sind keine Heinzelmänner“ in Auftrag. Am 2. April 1980 wurde es in Gelsenkirchen uraufgeführt. Im September 1981 berichtete das „Time Magazine“ über den erfolgreichen Arbeitskampf. Als in der Schweiz eine Volksabstimmung über „Gleiche Rechte für Mann und Frau“ ansteht, lädt die Gewerkschaft Textil-Chemie-Papier zwei der Heinze-Frauen zu einem landesweiten Kongress in Biel ein.

Und was sagen die Heinze-Frauen selbst über ihre Erfolge? „Wir sind keine ‚Heldinnen‘, wie es in einer Zeitung mal stand, wir sind ganz normale Frauen und meinen, was wir gemacht haben können alle anderen Frauen auch.“

Marianne Kaiser (Herausgeberin)
Wir wollen gleiche Löhne! Dokumentation zum Kampf der 29 „Heinze“-Frauen
Rowohlt Taschenbuch Verlag, April 1980, 135 Seiten
Antiquarisch erhältlich

Ehrung von Fasia Jansen

Die Sängerin Fasia Jansen (1929 bis 1997) begleitete den Kampf der Heinze-Frauen mit ihrer Gitarre. Am 3. Juni findet zu ihren Ehren eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe FrauenOrte NRW statt. Auf dem Programm stehen neben einer Ansprache von Oberbürgermeister Daniel Schranz Musik von Michael Zachcial von den „Grenzgängern“ und eine Performance von Schülern der Fasia-Jansen-Gesamtschule. Die Veranstaltung in der Fabrik K14, Lothringer Str. 64, 46045 Oberhausen, beginnt um 18 Uhr, Einlass ist um 17 Uhr. Da es nur begrenzte Plätze gibt, bitten die Veranstalter um Anmeldung bis zum 31. März: essen@dgb.de

Eine Biographie über Fasia Jansen gibt es auf der Homepage von „frauen/ruhr/geschichte“.

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Fasia Jansen (Foto: Manfred Scholz)

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"29 starke Frauen – den „Unken“ zum Trotz", UZ vom 7. März 2025



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