Gegengewicht der IG Metall gegen die Flexi-Offensive der Unternehmer

28 Stunden sind genug

Von Anne Rieger

Die 35 Stunden ist die Wunscharbeitszeit der großen Mehrzahl der Beschäftigten“, resümierte Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall das Ergebnis der Beschäftigtenbefragung sowie der Arbeitszeitkonferenz der Gewerkschaft. Weiterhin stehen selbstbestimmte Arbeitszeiten, die Anpassung Arbeitszeit Ost, für die sich die gesamte Organisation einsetzen muss, und ein „Wahlrecht“ auf Verkürzung der Arbeitszeit auf 28 Stunden für alle auf der Agenda. Es soll auf zwei Jahre befristet sein und ein Rückkehrrecht auf 35 Stunden beinhalten. Für Eltern, Pflegende und Schichtarbeiter soll das Unternehmen einen Entgeltausgleich zahlen, je niedriger die Entgeltgruppe, desto höher der Ausgleich.

Sofort erhoben Unternehmer ein mediales Protestgeschrei, drohten mit Verbandsaustritten, Automatisierung, Verlagerungen ins Ausland, Fachkräftemangel, Zerschlagung „unseres wirtschaftlichen Erfolgs“. Erstaunlich, denn dieses Gezeter machen sie eh ständig. Aber die Zahl 28 passt ihnen gar nicht. Schon lange drängen sie auf eine Arbeitszeitverlängerung mit Hilfe des Instruments Flexibilisierung und der gesetzlichen Wochenarbeitszeit. Bereits 2015 titelte der „Merkur“, „Arbeitgeberpräsident Kramer will 8-Stunden-Tag abschaffen“, und zitierte ihn: „Es könne sein, dass jemand an einem Tag zwölf Stunden arbeitet und am nächsten nur vier.“ Die Arbeitszeitflexi- und Verlängerungsoffensive der Unternehmer ist ein permanentes Trommelfeuer auf die Köpfe der Beschäftigten. In der „Hamburger Erklärung zur Bundestagswahl“ fordert Gesamtmetall von der Bundesregierung die Deregulierung des Arbeitszeitgesetzes.

Da ist es gut, wenn die IG Metall die 28-Stunden-Woche als Gegengewicht in die Diskussion bringt. 68 Prozent der Beschäftigten wünschen sich die 35-Stunden-Woche oder kürzere Arbeitszeiten. 80 Prozent der Beschäftigten arbeiten regelmäßig länger als 35 Stunden. Indes, das 28-Stunden-Projekt ist kein gesellschaftspolitischer Aufbruch – weder zur Beteiligung der Beschäftigten an den von ihnen erarbeiteten Produktivitätsgewinnen noch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: Denn konkret bedeutet es, Beschäftigte, die es sich leisten können, sollen sich ihre Arbeitszeitverkürzung – oder doch Teile davon – selbst bezahlen, über Personalausgleich wird nur in vereinzelten Bezirken gesprochen.

Teilzeit-Optionen?

Zusätzlich zum Sperrfeuer der Unternehmer gegen die Arbeitszeitverkürzung höhnte Gesamtmetall Präsident Rainer Dulger: „Wer will, kann doch heute schon kürzer treten – dank des Teilzeitgesetzes und flexibler Regeln in den Betrieben“. Dem muss frau leider zustimmen – allerdings eben mit der Ergänzung: „Wer es sich leisten kann“. Nun will die IG Metall, dass alle Beschäftigten in der Metallindustrie zwei Jahre lang ein individuelles Recht auf Teilzeit auf tariflicher Basis haben, denn das wäre die individuelle 28-Stunden-Woche.

Verständlich ist die Forderung aus der Sicht der Einzelnen, denn die reale Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten im Metall- und Elektrobereich beträgt 41,7 Stunden, gleichzeitig nehmen Leistungsdruck und Intensivierung der Arbeit zu. Weniger Arbeiten, mehr Freizeit – wer wollte das nicht. Glücklich diejenigen, die es sich leisten können.

Aber was ist mit den andern? Mit denen, die sich die Absenkung der Arbeitszeit nicht leisten können? Die EVG hat im Bahnbereich Ende vergangenen Jahres ein „Wahlmodell“ vereinbart, bei dem die Beschäftigten ihre Arbeitszeitverkürzung bzw. längeren Urlaub selber bezahlen. 42 Prozent brauchten ein höheres Einkommen und „verzichteten“ damit auf längeren Urlaub. Sind sie in Zukunft mangels Einkommen von Arbeitszeitverkürzung ausgeschlossen? Fördert das nicht die Spaltung der Belegschaften?

Und was wird aus den 3,7 Millionen Arbeitslosen, den prekär Beschäftigten, den TeilzeitlerInnen die dringend Erwerbsarbeit brauchen? Werden die temporär freiwerdenden Arbeitsstunden durch Personal von außen abgearbeitet? Oder werden nicht die gut organisierten Unternehmen individuelle Arbeitszeitverkürzungen mit ihren ausgefeilten Personalmanagementsystemen wesentlich leichter auf dem Rücken der Beschäftigten lösen (sowohl derjenigen, die kürzer arbeiten, als auch ihrer KollegInnen), ohne zusätzliches Personal einzustellen, als sie es bei kollektiver Arbeitszeitverkürzung müssten. Um den Arbeitsdruck weiterzugeben stehen ihnen leider genügend Instrumente zur Verfügung: Überstunden, Flexizeit, Arbeitsverdichtung. So werden in vielen Fällen ihre KollegInnen die notwendigen Arbeiten zusätzlich erledigen müssen, oder die VerkürzerInnen in ihrer verkürzten Zeit. Der Personalausgleich wird dürftig ausfallen. Weitere prekär Beschäftigte mit Befristungen oder Teilzeit stehen praktisch auf der Tagesordnung! Und die kürzer arbeitenden Beschäftigten ohne und mit Lohnausgleich treiben ungewollt die Produktivität voran und „kosten“ zugleich die Unternehmen weniger.

Lohn- und Personalausgleich für alle

Was wir brauchen, ist eine Arbeitszeitverkürzung für alle als solidarisches gewerkschaftlich-gesellschaftliches Kampfprojekt, um die Arbeitslosigkeit zu stoppen, um Arbeitsplätze für die Jugend und Stressabbau für die Beschäftigten zu sichern. Unser Ziel muss es sein, für die Forderung nach der 28-Stunden-Woche für alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich in den Belegschaften und Gewerkschaften zu werben, innerhalb deren selbstbestimmte Arbeitzeiten möglich sind. Bezahlbar ist sie allemal, das haben verschiedene Wissenschaftler vorgerechnet. Die Produktivität ist beständig gestiegen, und es ist nicht in unserem Interesse, dadurch die Gewinnquote der Unternehmer noch weiter zu erhöhen.

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"28 Stunden sind genug", UZ vom 4. August 2017



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