Lokalgeschichtliche Beispiele aus Dülmen und Coesfeld

2. Mai 1933: Faschisten überfallen Gewerkschaftsbüros

Ortwin Bickhove-Swiderski

Am 2. Mai 1933 wurden reichsweit alle Gewerkschaftsbüros überfallen und die freien Gewerkschaften zerschlagen. 90 Jahre danach gedenken die Dülmener und Coesfelder Gewerkschafter dem Überfall auf die Gewerkschaftsbüros in Dülmen und Coesfeld.

Am 22. April 1933 schloss die Dülmener NSDAP die Geschäftsstelle des Christlichen Textilarbeiterverbandes in der Marktstraße 41 in Dülmen gewaltsam. Der hauptamtliche Gewerkschaftssekretär des Christlichen Textilarbeiterverbandes, der Coesfelder Bürger Wilhelm Göcke, wurde in „Schutzhaft“ genommen. Er hatte ein Flugblatt unterzeichnet und sich gegen die Absetzung der frei gewählten Betriebsräte ausgesprochen. Die Dülmener NSDAP hatte zuvor die Betriebsräte bei der Firma Bendix aus ihren Funktionen entbunden. Mit Hilfe der „Schutzhaft“, deren formaljuristische Grundlage die „Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933“ bildete, schuf sich die Geheime Staatspolizei (Gestapo) einen von jeder rechtsstaatlichen Bindung gelösten Raum staatlicher Willkür.

Bereits am 19. April waren die frei gewählten Betriebsräte durch die „Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation“ gezwungen worden, ihre Mandate aufzugeben.

Ebenso wurde die Coesfelder Geschäftsstelle des Christlichen Textilarbeiterverbandes geschlossen. Die war im Vereinshaus des Katholischen Arbeitervereins untergebracht.

Die „Allgemeine Zeitung“ aus Coesfeld berichtete am 31. März 1933 zu diesem Vorfall: „Um einen Aufzug vor der Geschäftsstelle des Gewerkschaftssekretärs Göcke im Kath. Arbeitervereinshaus in Coesfeld zu verhindern, sei Gewerkschaftssekretär Göcke auf Grund des Gesetzes zum Schutz von Volk und Staat in Schutzhaft genommen worden. Gleichzeitig wurden die Räume der Geschäftsstelle von der Polizei geschlossen und für eine spätere Untersuchung gesichert. Auf dem Gebäude wurde die Hakenkreuzfahne gehisst.“

Die „National-Zeitung“ kommentierte dazu: „Vor den Sekretärsräumen weht jetzt die Hakenkreuzfahne und dokumentiert nach außen hin, dass ein weiterer Fortschritt in der Gleichschaltung gemacht ist.“

Wilhelm Göcke wurde in „Schutzhaft“ genommen. Ohne einen Haftbefehl gezeigt bekommen zu haben, wurde Göcke über fünf Tage im „Braunen Haus“ in Dülmen gefangen gehalten und dabei mehrmals schwer misshandelt. Ein ärztliches Gutachten hat die schweren Misshandlungen bestätigt. Göcke war vom 22. bis 27. April 1933 in „Schutzhaft“. Ab dem 1. September 1933 hatte er keine Arbeit und kein Einkommen mehr. Erst im Oktober 1934 erhielt er eine besoldete Stelle als Kirchenkassenrendant.

Das „Braune Haus“, Markt 13 in Dülmen, war die Zentrale der örtlichen NSDAP. Ursprünglich hatte es der Familie Wiesmann gehört, die dort bis 1931/32 eine Konditorei mit Café (Rats-Café) unterhielt.

Oben in dem Haus wohnte der Bäckermeister Wiesmann und seine Familie. Es wurde berichtet, dass sie immer das Haus verlassen haben, weil sie die fürchterlichen Schreie der Opfer ein Stockwerk tiefer unmöglich ertragen konnten.

Die Dülmener Polizei hatte gegen die NSDAP nichts unternommen, ihr waren die Vorgänge bekannt.

Der damalige Dülmener Bürgermeister Dr. Sicking (Zentrum) wehrte sich gegen diese Vorgänge. Die SA ging gegen Dr. Sicking vor. Der AOK-Rendant Dabeck (Zentrum) wurde am 2. Mai von Mitgliedern der NSDAP und Polizisten in das Polizeigefängnis gebracht.

Wilhelm Göcke trat mit dem 15. Lebensjahr dem Christlichen Textilarbeiterverband bei. Ab 1928 war er hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär, bis er 1933 seiner Funktion enthoben wurde. Die „Verhaftung“ nahmen Hilfspolizisten aus den Reihen der SA vor. Nach 1945 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der CDU in Coesfeld und wurde ehrenamtlicher Bürgermeister. Er war Mitglied des Kreistages und Mitglied der Landschaftsversammlung Westfalen/Lippe für den Kreis Coesfeld.

Elisabeth Küper (1901-1991) war ab 1931 hauptamtliche Gewerkschaftssekretärin für den Christlichen Textilarbeiterverband. Sie wurde genau am 2. Mai 1933 wegen „staatsfeindlicher Einstellung“ durch die NSDAP in Münster entlassen. Zwei Jahre lebte sie wegen der Verfolgung wie auf der Flucht. Sie gehörte dem „ernannten Landtag“ NRW 1946 an, und am 13. August 1953 gründete sie die CDU Merfeld mit (heute ein Stadtteil von Dülmen).

Franz Bargel, der Vorsitzende des ADGB in Dülmen, lebte zu dieser Zeit schon in der Illegalität. Von Kollegen wurde er von 1933 bis 1945 mit Nahrung und kleinen Geldspenden unterstützt. Seine Nerven waren so zerrüttet, das er nach 1945 keiner Arbeit mehr nachgehen konnte.

Anton Hörbelt wurde ebenso als Gewerkschaftsfunktionär geschlagen und geschunden. Er war bis 1933 Parteisekretär der SPD, und nach 1945 einer der ersten hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre im Kreis Coesfeld.

Um unter Arbeitern Sympathien für den Faschismus zu fördern, erklärte das NS-Regime den 1. Mai als „Tag der nationalen Arbeit“ zum gesetzlichen Staatsfeiertag bei voller Lohnfortzahlung. Damit gingen es scheinbar auf eine alte Forderung der internationalen Arbeiterbewegung ein. Endgültig wird der 1. Mai gesetzlicher Feiertag durch Gesetz vom 27. Februar 1934.

Am 1. Mai 1933 wurde auch in Dülmen und Coesfeld der „Tag der nationalen Arbeit“ erstmals als gesetzlicher Feiertag begangen. Um 8.30 Uhr mussten die Belegschaften vor den Betrieben antreten, dann erfolgte die Hissung der Hakenkreuzfahne auf dem jeweiligen Gebäude und ein dreifaches „Heil“ auf den „Führer“. Anschließend wurde eine Rede Hitlers übertragen. Abends Fackelumzüge mit allen Formationen, von Schützenvereinen bis zu Turn- und Sportvereinen. Selbst die jeweiligen Innungen marschierten mit. Die SA versah den Ordnungsdienst.

Ab dem 2. Mai 1933 waren alle freien Gewerkschaften durch die NSDAP zerschlagen. Es folgten Verhaftungen, Einweisungen in die KZ, sogar Morde an hauptamtlichen Sekretären.

Unser Autor ist Vorsitzender des DGB im Kreis Coesfeld und Heimatforscher.

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