Aus dem Einführungsvortrag auf der Donnerstag-Veranstaltung des Marxistischen Arbeitskreises zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung am 29. Oktober 2015.
Vollständiger Text und Fußnoten in: Geschichtskorrespondenz, Februar 2016 (nur im Internet unter http://www.die-linke.de/partei/weitere-strukturen/andere-gremien/marxistischer-arbeitskreis/geschichtskorrespondenz/)
Prof. Dr. Heinz Karl ist Historiker und lebt in Berlin
Die KPD war eine der wichtigsten im Deutschland des 20. Jahrhunderts wirkenden politischen Kräfte. Sie war nicht nur über Jahre die stärkste und einflussreichste kommunistische Partei in den kapitalistischen Ländern. Sie war auch die politische Voraussetzung für die mehr als vier Jahrzehnte währende Beseitigung der Macht des Kapitals, des Imperialismus und Militarismus und des erstmalig beschrittenen sozialistischen Entwicklungsweges in einem Teil Deutschlands.
Sie durchlief in ihrer Entwicklung verschiedene Phasen, die nicht identisch mit Perioden der gesellschaftlichen Entwicklung – und ihres Wirkens unter diesen konkreten geschichtlichen Bedingungen – sind, sondern den spezifischen Bedingungen und Erfordernissen der Entwicklung einer proletarischen Partei als Organisationsform und Instrument von Klassenkräften entspringen.
Ihre Vorgeschichte war dadurch gekennzeichnet, dass sie sich als bewussterer Teil der innerparteilichen Opposition in der SPD gegen die Politik des 4. August 1914 herausbildete, aber diese nicht insgesamt integrierte (denken wir an die Bremer und andere Linke); auch nicht, als die SPD-Führung zur Spaltung der Partei überging und die Bildung einer alternativen linkssozialistischen Partei auf die Tagesordnung setzte, die führende Mitgestaltung dieses Prozesses anstrebte.
Die erste Entwicklungsphase der KPD beginnt mit ihrem Gründungsparteitag an der Jahreswende 1918/1919 und währt bis zur Vereinigung mit der linken USPD und der Konstituierung der VKPD im Dezember 1920. Sie entwickelt sich unter schwierigsten Bürgerkriegsbedingungen zu einer ganz Deutschland umspannenden und kontinuierlich wirkenden Organisation. Sie überwindet die auf und unmittelbar nach dem Gründungsparteitag aufgetretenen linkssektiererischen und anarchosyndikalistischen Verirrungen, was zum Ausscheiden des KAPD-Flügels führt. Das bedeutet eine zeitweilig erhebliche zahlenmäßige Schwächung, aber zugleich eine viel gewichtigere programmatische und taktische Stärkung. Es ist die wichtigste Voraussetzung, um alle relevanten Kräfte links von der reformistischen SPD in einer revolutionären marxistischen Partei zu sammeln. Dies gelingt mit konstruktiver Unterstützung der Kommunistischen Internationale, der sich die KPD (Spartakusbund) unmittelbar nach deren Gründung angeschlossen hatte. Damit hatte sich eine revolutionäre marxistische, konsequent antikapitalistische Partei als Alternative zur system-und regimekonformen reformistischen SPD formiert. Sie war nicht nur eine wirkliche Massenpartei, in ganz Deutschland verankert, sondern verfügte auch über starke gewerkschaftliche, kommunalpolitische und parlamentarische Positionen. Diese Konstellation entsprach einem Deutschland mit bürgerlichen, imperialistischen Machtverhältnissen. Ihre Überwindung gelang nur dort, wo diese Machtverhältnisse liquidiert wurden. Alle Versuche, einen „dritten Weg“ zwischen diesen beiden Hauptkräften zu finden, erwiesen sich – bis heute – als unrealistisch und illusorisch, förderten die Zersplitterung.
Mit der Konstituierung der VKPD begann die zweite Entwicklungsphase der KPD, die sich bis Juli/August 1925 erstreckte. Sie verläuft sehr widersprüchlich, diskontinuierlich. Wertvolle neue Erfahrungen werden gesammelt,internationale Erfahrungen und Erkenntnisse produktiv angeeignet, bedeutende politische Erfolge erzielt. Andererseits werden Situationen fatal fehleingeschätzt, erfolgen Rückfälle in bereits überwunden geglaubte Fehler, schwerwiegende taktische Missgriffe. Die Partei ist in Fraktionen gespalten, die dies widerspiegeln, aber auch aus der starken Differenziertheit der beteiligten Kräfte, hervorgegangen aus unterschiedlichen, zum Teil konträren Strömungen und Organisationen, auch aus verschiedenen Generationen mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten sowie aus regionalen Bindungen resultieren. Das Konsensstreben ist insgesamt sehr unterentwickelt.
Nach einem bemerkenswerten, zukunftsträchtigen Auftakt mit dem Offenen Brief an alle Arbeiterparteien und -organisationen im Januar 1921 läuft die Partei im März 1921 – in Überschätzung ihrer Stärke und Möglichkeiten – in das offene Messer der wohlvorbereiteten preußischen Polizeiprovokation. Die harte Kritik des III. Weltkongresses bahnt der Durchsetzung einer sehr erfolgreichen Einheitsfrontpolitik 1921/22 den Weg. 1923 vermag die KPD ihren Masseneinfluss rasch zu steigern, aber nicht ausreichend zu festigen und in Aktionskraft umzusetzen. Das richtige Konzept der Arbeiterregierung wird einseitig parlamentarisch aufgefasst. Wieder werden durch die Parteispitze (vor allem durch Heinrich Brandler) die eigenen Kräfte und Möglichkeiten überschätzt, die Gegenkräfte grob unterschätzt. Verheerend wirkt sich die grundfalsche taktische Orientierung aus, keine Teilkämpfe zu führen, „um alle Kräfte für den Entscheidungskampf aufzusparen“. Die Niederlage im Herbst 1923 wirkt sich kaum auf den Masseneinfluss der KPD aus, die nun ihre bisher besten Wahlergebnisse erzielt, bis hin zur Reichstagswahl im Mai 1924, bei der sich ihre Fraktion fast verfünffacht.
Dafür gestaltete sich die Situation in der Partei komplizierter. Die Empörung über die bisherige Führung um Brandler sicherte der von Arkadi Maslow und Ruth Fischer dominierten linken Opposition auf dem 9. Parteitag im April 1924 eine Dreiviertelmehrheit. Zwar wurde Ernst Thälmann zum Parteivorsitzenden gewählt, aber außer ihm wahrten nur drei Mitglieder der neuen Zentrale (Pieck, Remmele, Eberlein) Distanz zu Maslow/Fischer – eine hoffnungslose Minderheit. Hinzu kam, dass auch nach Wiedereinführung der (seit August 1921 abgeschafften) Vorsitzenden-Funktion im Februar 1924 die praktische Führungsarbeit sich nach wie vor im Polbüro und Orgbüro konzentrierte, was deren Sekretären (Arkadi Maslow bzw. Ruth Fischer und Werner Scholem) zwangsläufig eine Schlüsselrolle verschaffte, obwohl sie formell dem Parteivorsitzenden untergeordnet waren.
Die Reichstagswahl im Dezember 1924, die der SPD große Gewinne brachte, die KPD aber mehr als ein Viertel ihrer Wähler kostete, zeigte, dass die KPD keine Konsequenzen aus der deutlich einsetzenden relativen Stabilisierung des Kapitalismus zog und insbesondere ihre Massenarbeit immer mehr hinter den Erfordernissen zurückblieb. Auf dem 10. Parteitag traten die Gegensätze zwischen den linksopportunistischen Kräften um Ruth Fischer und Werner Scholem, die eine realistische Politik behinderten oder sogar offen bekämpften, und den Kräften um Thälmann, die auf entschiedene Verstärkung der Massenarbeit, vor allem in den Gewerkschaften, und eine effektive Einheitsfrontpolitik drängten, offen zu Tage. Thälmann orientierte in einem Hauptreferat auf die aktive Arbeit in den freien Gewerkschaften als die wichtigste Aufgabe der Kommunisten. Ein neues Parteistatut sollte insbesondere für handlungsfähige Parteiorganisationen vor allem in den Betrieben, aber auch in den Wohngebieten sorgen, die jedem Mitglied die konkrete Mitarbeit ermöglichten. Der Parteitag machte deutlich, dass grundlegende politische und organisatorische Veränderungen unumgänglich, aber auch herangereift waren. Im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen hatte sich aber auch das Kräfteverhältnis in der Parteiführung geändert. Einige der bisherigen Zentrale-Mitglieder hatten sich von Fischer/Maslow/Scholem gelöst und unterstützten Thälmann. Dem neu gewählten Führungsgremium – jetzt ZK – gehörten fast doppelt so viele Mitglieder (und Kandidaten) an wie der bisherigen Zentrale, vor allem bewährte Kräfte aus den Bezirken, die sich zu einem großen Teil an die Seite Thälmanns stellten. Damit ging die zweite Entwicklungsphase der KPD zu Ende. (…)
Inhalt und Wertung der Wende August/November 1925
In den Moskauer Verhandlungen zwischen Delegationen der KPD und des EKKI vom 12. bis 20. August 1925 ging es vor allem um die wesentlichen Schwächen der Partei und insbesondere ihrer Führung. Die Mitglieder des EKKI legten dar, wie die Gruppe Ruth Fischers alle Vorschläge, die Politik der KPD – vor allem die Gewerkschafts- und Einheitsfrontpolitik – beweglicher zu gestalten, missachtet hatte, die innerparteiliche Demokratie verletzte, jegliche Selbstkritik ablehnte, ständig gegen das Prinzip der Kollektivität der Leitung verstieß und sich bei der Entwicklung von Kadern und bei der Formierung von Leitungen von Fraktionsgeist leiten ließ. Entschieden unterstützten Ernst Thälmann, Philipp Dengel und John Schehr die Kritik des EKKI.
Die Ergebnisse der Aussprache wurden in einem Offenen Brief des EKKI an die KPD zusammengefasst. Dieser ging von einer realistischen Einschätzung der Klassenkräfte in Deutschland aus. Er machte die KPD auf die Aktivitäten des wiedererstarkenden deutschen Imperialismus und zugleich auf die neuen Möglichkeiten für die Herstellung der Einheitsfront aufmerksam. Im Offenen Brief wurde unterstrichen, dass diese nur im Kampf gegen die ultralinken Auffassungen und Tendenzen genutzt werden könnten. Als wichtigste Seite der Politik der KPD bezeichnete das EKKI das Verhältnis der Partei zur sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, ihre Einheitsfrontpolitik. Um Masseneinfluss zu gewinnen, müsse man praktische Massenarbeit leisten, vor allem in den Betrieben und Gewerkschaften. Damit die Partei kampffähiger und für die Arbeiter anziehender werde, sei in den Parteiorganisationen eine lebendige, kameradschaftliche Atmosphäre zu schaffen.
Der Offene Brief war wegweisend für die KPD. Sein wichtigstes Anliegen war es, die KPD zu befähigen, die durch die kapitalistische Stabilisierung geschaffene Klassenkampfsituation exakt zu analysieren und auf dieser Grundlage eine realistische strategische und taktische Orientierung auszuarbeiten.
Das ZK der KPD billigte auf einer Tagung am 28. August und 1. September 1925 die Tätigkeit der Delegation der KPD und stimmte dem Offenen Brief des EKKI zu. Es wählte seine leitenden Organe in der von Thälmann vorgeschlagenen Zusammensetzung. Von nun an wurde das Polbüro unmittelbar vom Parteivorsitzenden geleitet. Ruth Fischer, Arkadi Maslow und Werner Scholem gehörten zwar noch dem Polbüro bzw. Orgbüro an, bildeten dort aber jetzt eine klare Minderheit, die große Mehrheit stand fest an der Seite Thälmanns.
Der Offene Brief des EKKI an alle Organisationen und Mitglieder der KPD erschien noch am 1. September 1925 in der „Roten Fahne“. Seine Veröffentlichung leitete eine zweimonatige Parteidiskussion ein, die ihren Höhepunkt und Abschluss Ende Oktober mit der 1. Parteikonferenz fand. Mit dieser Parteidiskussion wirkte die neue Parteiführung darauf hin, dass die Parteiorganisationen sich auf eine konkrete politische Arbeit mit den parteilosen und den sozialdemokratischen Arbeitern einstellten, sich in alle wirtschaftlichen und politischen Kämpfe einschalteten und sich auf eine wirksame Tätigkeit der Kommunisten in den Betrieben und Gewerkschaften konzentrierten. Der Offene Brief und die Beschlüsse des ZK fanden in den regionalen und lokalen Parteiorganisationen ein starkes Echo. So beschloss die Bezirksleitung Halle-Merseburg bereits am 2. September, in der Bezirksleitung und den Unterbezirksleitungen Gewerkschaftsabteilungen aufzubauen.
In einigen Bezirken, in denen die Ultralinken größeren Einfluss hatten, wie in Berlin-Brandenburg, bemühten sich Ernst Thälmann, Philipp Dengel und andere ZK-Mitglieder, die durch das scheinradikale Auftreten der Ultralinken irregeführten Arbeiter für die Linie der Partei zu gewinnen. Für den zunehmenden Erfolg gab den Ausschlag, dass die Auseinandersetzung mit den ultralinken Argumenten eng mit der Klärung der praktischen Fragen der täglichen Massenarbeit verbunden wurde. Während die verschiedenen, auch untereinander zerstrittenen ultra-linken Gruppierungen u. a. gegen die Bestrebungen der neuen Parteiführung Sturm liefen, die Arbeit der Betriebszellen zu beleben und neue aufzubauen, weil sie davon einen Rückgang ihres Einflusses befürchteten, betrachtete es die Parteiführung als einen Schwerpunkt ihrer Arbeit, das Verständnis für die Rolle der Betriebszellen im Leben der Partei zu erhöhen und die KPD in den Belegschaften stärker zu verankern. In der Parteidiskussion konnten sich von den Ultralinken beeinflusste Arbeiter an Hand ihrer eigenen Erfahrungen von der Richtigkeit der Linie des ZK überzeugen. Die Arbeit der Betriebszellen wurde lebendiger und es wurden zahlreiche neue geschaffen. In eineinhalb Jahren – bis Anfang 1927 –erhöhte sich ihre Gesamtzahl auf 2 135.
Indem die Rolle der Betriebszellen erhöht wurde und territoriale Parteiorganisationen mit Hunderten von Mitgliedern, die gar nicht in der Lage waren, als wirkliche Basisorganisationen zu arbeiten, in arbeitsfähige Straßenzellen aufgeteilt wurden, entstanden reale Voraussetzungen, um die innerparteiliche Demokratie zu entwickeln. Nicht wie bisher in – häufig von den Ultralinken fraktionell manipulierten – Funktionärssitzungen, sondern in den Mitgliederversammlungen oder auf Konferenzen gewählter Delegierter der Zellen wurde nunmehr über die Partei- und Massenarbeit beraten und entschieden. Mit der Durchsetzung solcher Arbeits- und Leitungsmethoden verminderte sich rasch der Einfluss der Ultralinken. In den Betriebszellen und auf den Delegiertenkonferenzen gaben, wie die „Rote Fahne“ (25. Oktober 1925) treffend schrieb, „der Gewerkschaftsfunktionär, der zielbewusste Betriebsarbeiter und nicht der Phraseur“ den Ton an. Zugleich war der Aufbau der Betriebs- und Straßenzellen die Voraussetzung, einen immer größeren Teil der Parteimitglieder in die Parteiarbeit einzubeziehen.
Am 31. Oktober 1925 trat in Berlin die 1. Parteikonferenz zusammen. Von den 253 Delegierten waren drei Viertel Arbeiter aus den Betrieben. Fast alle Delegierten waren gewerkschaftlich organisiert. Im Referat Ernst Thälmanns zur Lage in der KPD erinnerte er besonders daran, wie realistisch Lenin auf dem III. Weltkongress der KI von einem verlangsamten Tempo der Entwicklung der revolutionären Bewegung gesprochen hatte, sowie an die von Lenin inspirierten Beschlüsse dieses Kongresses: die zentrale Losung „Heran an die Massen!“ und die Entwicklung von Betriebszellen als wichtigste Form der Parteiorganisation. Unter wörtlichem Bezug auf Lenins „Linken Radikalismus.“ betonte er, die KPD könne nur reifen und erstarken, wenn sie sich die Leninsche Erkenntnis zu eigen mache, dass die kommunistische Bewegung sich im Kampf sowohl gegen den Rechtsopportunismus als auch gegen den „linken Radikalismus“ – der in der KPD zur Hauptgefahr geworden sei – entwickelt und festigt.
Scholem und andere ultralinke Redner leugneten die relative Stabilisierung des Kapitalismus, wandten sich gegen jede ernsthafte Einheitsfrontpolitik und beschuldigten das EKKI und das ZK der KPD, die diese Auffassungen zurückwiesen, des Opportunismus. Sie überzeugten nicht: die vom ZK vorgelegte Resolution zu den innerparteilichen Fragen wurde mit 222 gegen 30 Stimmen angenommen.
Die Parteikonferenz rückte sozialpolitische Forderungen stärker in den Vordergrund: Rückeroberung des Achtstundentages, eine bessere Arbeitslosenunterstützung, gegen Erwerbslosigkeit und Kurzarbeit, gegen Teuerung, Herabsetzung der Mieten, Bau von Arbeiterwohnungen, Erweiterung der Rechte der Betriebsräte, insbesondere ein Mitbestimmungsrecht bei Einstellungen und Entlassungen.
Besonders betonte die Parteikonferenz die Wichtigkeit demokratischer, antiimperialistischer Teilforderungen in der Politik der KPD: Säuberung des Staatsapparates von Monarchisten und anderen Reaktionären, Maßnahmen gegen die arbeiterfeindliche Klassenjustiz und die reaktionäre Schulpolitik, die Beschlagnahme der Vermögen der bis 1918 regierenden Fürsten.
Um diese antiimperialistischen Kampfforderungen durchzusetzen, sollte ein Linksblock aus kommunistischen, sozialdemokratischen und anderen gewerkschaftlich organisierten Arbeitern formiert werden. Diesem Bestreben diente auch ein bei zehn Gegenstimmen angenommener Beschluss, der SPD zu den bevorstehenden preußischen Provinziallandtagswahlen Listenverbindungen zur Verrechnung der Reststimmen vorzuschlagen.
Bei der Abstimmung über die politische Resolution vermochten die Ultralinken sogar nur zwölf Gegenstimmen aufzubringen.
Die am 1. November 1925 beendete 1. Parteikonferenz war von großer Tragweite für die weitere Entwicklung der KPD. Die Parteikonferenz bekräftigte die positiven Züge in den Beschlüssen des 10. Parteitages und löste die Aufgaben, die der Parteitag nicht zu lösen vermocht hatte. Darüber hinaus aber verankerte sie den Sieg über eine äußerst gefährliche – weil unter „linker“ Maske auftretende – antimarxistische Abweichung.
Diese Bedeutung der 1. Parteikonferenz wurde auch vom Gegner erfasst. Die großbürgerliche „Berliner Börsen-Zeitung“ (2. November 1925, Abendausgabe) wertete die Konferenz als Anzeichen einer neuen Aufwärtsbewegung des Kommunismus in Deutschland und gab auf die Frage, was die Kommunisten mit ihrer neuen Taktik bezwecken, die bezeichnende Antwort: „Sie reißen die Drahtverhaue zwischen sich und den Sozialdemokraten nieder.“
Die Wirkungen der Umwälzung im Herbst 1925. Was wurde erreicht?
Mit der neuen Führungskonstellation war vor allem die umgehende Wende zu einer realistischen Einheitsfrontpolitik verbunden – sowohl in Wahlkämpfen als auch in sozialen Bewegungen. Ihr Höhepunkt war die Fürstenenteignungskampagne 1926, ein bis dahin unerreichtes und später nicht wieder zustande gekommenes Zusammenwirken von kommunistischer und sozialdemokratischer Bewegung – von der KPD erkämpft gegen den monatelangen erbitterten Widerstand der SPD-Führung, vor allem durch eine intensive Einheitsfrontarbeit mit der SPD- und Gewerkschaftsbasis. Im Winter 1925/26, einer wirtschaftlichen Krisenphase, ergriff das ZK der KPD wichtige außerparlamentarische und parlamentarische Initiativen zur Unterstützung der Erwerbslosen, gegen Betriebsstilllegungen, für Arbeitsbeschaffung, Krisenbekämpfung und Ankurbelung der Wirtschaft durch umfassende staatliche und kommunale Sofortmaßnahmen sowie mittel- und längerfristige Programme. Im Februar 1926 nahm erstmals ein KPD-Vorsitzender vor dem Zentralkomitee zu den Fragen des Bündnisses mit den werktätigen Bauern Stellung. Das ZK beschloss ein agrarpolitisches Aktionsprogramm unter dem richtungweisenden Titel „Das Gesicht dem Dorfe zu!“, in dem die KPD sich erstmals nicht nur an die Kleinbauern, sondern auch an die Mittelbauern wandte. Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Locarno-Verträge im Herbst 1925 setzte Thälmann im Polbüro durch, dass die KPD sie nicht nur als friedensgefährdend angriff, sondern auch als Preisgabe nationaler Interessen, die antinationale Rolle der deutschen imperialistischen Bourgeoisie und die Rolle der Arbeiterklasse als Verfechter der nationalen Interessen beleuchtete.
Diese politische Wende bewirkte ein Erstarken und einen wachsenden politischen Einfluss der KPD. Von 1925 bis 1933 hat sich die Mitgliederzahl der KPD verdreifacht, die Zahl ihrer Wähler mehr als verdoppelt: von 2,7 Millionen im Dezember 1924 (SPD 7,9 Mill.) auf fast 6 Millionen im November 1932 (SPD 7,2 Mill.). In Berlin war sie seit 1930 wählerstärkste Partei und erhielt im November 1932 ein Drittel aller Stimmen. Bei den Wahlen im November 1932 erzielte die KPD auf dem Gebiet der heutigen Bundesländer Berlin, NRW, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt sowie auch in Oberschlesien mehr Stimmen als die SPD; dies galt auch für das Saargebiet. In den Industriegebieten erhielt die SPD 1,7 Mill., die KPD 2,5 Mill. Stimmen.
Die KPD verankerte sich vielfältig in den Massen, z. B. konnte sie die Zahl ihrer Kommunalmandate von 6 000 im Jahre 1923 bereits bis 1929 auf 15 283 steigern. Symptomatisch ist auch, dass zur Reichstagswahl 1930 Willi Eichler, Oskar Maria Graf, George Grosz und viele andere Intellektuelle einen Aufruf für die KPD erließen; dass zur Reichspräsidentenwahl 1932 Carl von Ossietzky dazu aufrief, Thälmann zu wählen, und nicht nur die linkssozialdemokratische SAPD und die vom katholischen Politiker Vitus Heller geführte Christlich-Radikale Arbeiter-und-Bauern-Partei sich diesem Aufruf anschlossen, sondern auch beispielsweise Graf und Gräfin Moltke aus Kreisau diesem Appell folgten.
Aber wir sind schon etwas vorausgeeilt. Nach den politischen Erfolgen 1926 eröffnete der 11. Parteitag im März 1927 neue Horizonte. In seinen politischen Thesen wurden das „Bündnis der Arbeiterklasse mit allen Werktätigen zum gemeinsamen Kampf gegen das Finanzkapital“ und die „Hegemonie der von der Kommunistischen Partei geführten Arbeiterklasse in der Volksrevolution“ als „grundlegende Gesichtspunkte“ der Politik der KPD bestimmt. Als Hauptfeind wurde die monopolistische Großbourgeoisie betrachtet, der Hauptschlag wurde, so das Manifest des 11. Parteitages, „gegen das Trustkapital und seine reaktionäre Regierung“ geführt.
Nach dem 11. Parteitag wurde dessen Zielstellung des Kampfes gegen Monopolkapital und Bürgerblock in die Losung des Sturzes der Bürgerblockregierung gefasst. Dieser wurde als nächstes Ziel im Kampf um die Diktatur des Proletariats definiert, also vom politischen Endziel deutlich unterschieden. Eine Erörterung der Machtfrage – und damit eines eventuellen strategischen Etappenziels – wurde damit nicht verknüpft, da mit einer so weit gehenden Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses nicht zu rechnen war. Ein Ansatz zu derartigen perspektivischen Überlegungen war es, dass in einer Erklärung des ZK vom Oktober 1927 die Beteiligung von Kommunisten an einer Regierung mit Sozialdemokraten für die Zukunft nicht ausgeschlossen wurde.
Heinrich Brandler und seine politischen Freunde forderten, statt der situationsgerechten, in der Stoßrichtung antimonopolistischen und gegen die Rechtsentwicklung gerichteten Orientierung „Gegen Trustkapital und Bürgerblock!“ doktrinär die Forderung nach „Produktionskontrolle“ in den Mittelpunkt des Kampfes der Partei zu stellen, die sowohl das politische Kräfteverhältnis als auch die konkreten Interessen der Massen ignorierte.
Die Reichstagswahl vom Mai 1928 sprach für den von der KPD eingeschlagenen Kurs. Die KPD konnte über eine halbe Million Stimmen hinzugewinnen. Von besonderer Bedeutung war ihr Wahlergebnis in Groß-Berlin. Hier konnte sie ihre Stimmenzahl gegenüber 1924 von 375 000 auf 611 000 steigern und doppelt so viel Stimmen hinzugewinnen wie die SPD (die im Reich und in Berlin ihr bestes Ergebnis seit 1919 erzielte). Ihre politische Situation gestaltete sich komplizierter. An die Stelle des offen reaktionären Bürgerblocks trat eine Große Koalition von der SPD bis zur großbürgerlichen Deutschen Volkspartei unter dem SPD-Kanzler Hermann Müller, die u. a. mit dem Übergang zum Panzerkreuzerbau eine neue Phase der Wiederaufrüstung einleitete. Um diese auch in der SPD auf massenhafte Proteste stoßende Politik abzusichern und die KPD zu isolieren, steigerte die SPD-Führung den seit 1926 (als Konsequenz ihres Dilemmas bei der Fürstenenteignungskampagne) betriebenen verschärften antikommunistischen Kurs. Wie 1920/21 in Mitteldeutschland bereitete das sozialdemokratisch geleitete preußische Innenministerium in ständigem Kontakt mit den Parteiinstanzen monatelang eine blutige antikommunistische Polizeiaktion vor. Der von einer breiten Öffentlichkeit bis weit in bürgerlich-demokratische Kreise hinein verurteilte vorsätzliche Terror gegen die Berliner Maidemonstration 1929 forderte 33 Menschenleben („Blutmai“). Das anschließende Verbot des Roten Frontkämpferbundes wurde selbst von den sozialdemokratischen Innenministern Wilhelm Leuschner (Hessen) und Adam Remmele (Baden) abgelehnt und nur unter stärkstem Druck der SPD-Führung vollzogen; in Braunschweig, wo die sozialdemokratische Landesregierung (Ministerpräsident Jaspers und Staatsminister Curt Steinbrecher) sich weiterhin grundsätzlich verweigerte, vom Reichsinnenminister Severing (SPD) verhängt. Dieser provokatorische antikommunistische Kurs wurde vom Magdeburger SPD-Parteitag (Mai 1929) gebilligt. Diese Haltung der SPD schien die von der KI vertretene und auch von der KPD akzeptierte falsche „Sozialfaschismus“-These zu bestätigen. Das von der SPD-Führung mit der Mai-Provokation verfolgte Ziel, die KPD zu isolieren, scheiterte völlig. Bei den Berliner Stadtverordnetenwahlen im November 1929 konnte die KPD fast fünf mal so viele Wähler hinzugewinnen wie die SPD. (…)