„Empörungsterrorismus“ – so nennt Domenico Losurdo in seinem 2014 erschienenen Buch „Wenn die Linke fehlt …“ (deutsche Übersetzung 2017) das, auf was hierzulande viel zu viele Menschen hereinfallen: Wir werden bombardiert mit Schreckensmeldungen und Schreckensbildern, auf dass wir uns mächtig empören und dann in der von den Imperialisten gewünschten Weise Partei ergreifen. Welche ausgeklügelten Techniken dahinter stehen, beschreibt der Autor in dem Kapitel „Psywar, Revolution in Military Affairs, Internet Wars“, das wir mit freundlicher Genehmigung des PapyRossa Verlags redaktionell bearbeitet wiedergeben.
Gleichzeitig mit dem ersten Golfkrieg wurde 1992 in den USA ein Buch vorbereitet und publiziert, das, wobei es insbesondere vom Koreakrieg ausging, die zentrale Rolle von Psywar, also Psychokrieg, unterstrich und weiter seine Grundthese folgendermaßen klarstellte und dabei eine Reihe von Ratschlägen erteilte:
„Die Strategie des Psychokriegs impliziert Propaganda, willkürliche Lügen und Verdrehungen der Wahrheit, um das Denken und die internationale öffentliche Meinung gegen den Feind zu beeinflussen (…). Sie können Ihre Behauptungen mit Fotos von durch Bomben zerstörte Schulen und verletzte Kinder beweisen (…). Euer Feind ist als fettes Individuum dargestellt, das einen armen schmächtigen Jungen quält, als eine globale Macht, die ihre unbegrenzte Potenz illegal nutzt und dabei die anerkannten Standards internationaler Gepflogenheiten verletzt. Sie können versichern, dass seine Soldaten Berufssoldaten sind, die ohne Gewissensbisse töten. Sie massakrieren Zivilisten und setzen Bazillen und Giftgas ein. Sie planen, Sie mit Atombomben total auszulöschen. Kurz, es geht nicht darum, was ‚Wahrheit‘ ist: Sie sind ein braver Kerl und der Feind ist der Teufel, die Inkarnation des Todes.“
Wie der vierten Umschlagseite zu entnehmen ist, war der hier zitierte Autor „Leiter der Advanced Systems Division des Generalstabs der Luftwaffe und Geheimdienstoffizier mit zwanzig Dienstjahren“. Es handelte sich also um eine einflussreiche Person, die sich nach Belieben im Inneren des von ihr realistisch beschriebenen und wärmstens empfohlenen Psychokriegsapparats bewegte. Und sie stellte ihren Text zusammen, während der erste Golfkrieg vorbereitet wurde beziehungsweise im Gang war, und die in ihrem Lehrbuch zum Psychokrieg enthaltenen Empfehlungen passen perfekt zum Verhalten und zu den Funden des Pentagon und des Weißen Hauses. Das Psywar-Handbuch fordert, den Feind als „Satan“ darzustellen, der bereit ist, sich auch an unschuldigen Kindern zu vergehen; nun, 1991 wurden die Truppen Saddams weltweiter Verachtung ausgeliefert, dass sie an die 312 Neugeborene aus ihren Brutkästen geholt hätten, um sie im Elend und der Kälte des Kinderkrankenhausfußbodens sterben zu lassen. Der von dem Handbuch konstruierte und in den Blick genommene Satan hatte vor, mit seinen Atombomben eine grenzenlose Menge von Unschuldigen zu vernichten: Genau das wurde Saddam anlässlich des zweiten Golfkriegs vorgeworfen im Lauf einer Propagandakampagne, die auf der drohenden Gefahr insistierte. Der „Satan“ des Psywar-Handbuchs gab sich nicht damit zufrieden, sich an seinen Opfern mit Atombomben zu vergehen, sondern war ebenso bereit, auch ihm zur Verfügung stehende „Bakterien“ und „Giftgas“ einzusetzen: In seiner Rede von 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat unternahm es Colin Powell, der US-Außenminister, zu beweisen, dass Saddam Hussein ein Arsenal von chemischen und biologischen Waffen bereithalte oder fieberhaft vorbereite.
Menschenversuche
Natürlich nutzen auch andere Länder den psychologischen Krieg. Tatsache aber bleibt: Die einzige Supermacht hat einen klaren Vorsprung auch auf diesem Gebiet und übertrifft jedes andere Land an moralischer Skrupellosigkeit. Zusätzlich zum bisher analysierten Handbuch gibt es zum Beweis Artikel, die in nicht des Antiamerikanismus verdächtigen Presseorganen erschienen und von beunruhigendem Inhalt sind. Vor einigen Jahren hörte man von einer Anthropologin der Universität des Staates Washington, Rebecca Lemov, die ein Buch veröffentlicht hatte, das „die unmenschlichen Versuche der CIA und einiger der größten Psychiater beschrieb, in den 50er-Jahren die Psyche der Patienten ‚zu zerstören und zu rekonstruieren‘“. Damit können wir eine Begebenheit verstehen, die sich in eben dieser Zeit ereignet hat. Am 16. August 1951 versetzten seltsame und alarmierende Vorkommnisse Pont-Saint-Esprit, „einen ruhigen und pittoresken Ort in Südostfrankreich“, in Aufregung. „Die Gegend wurde“ nämlich „von einer mysteriösen Woge kollektiven Wahnsinns erschüttert. Mindestens fünf Menschen starben, Dutzende kamen in die Irrenanstalt, Hunderte wiesen Zeichen von Delirium und Halluzinationen auf (…). Viele kamen in der Zwangsjacke ins Krankenhaus.“ Das Geheimnis, das lange diesen unerwarteten Ausbruch von „kollektivem Wahn“ umgab, scheint heute gelüftet: Es handelte sich, wie der „Corriere della Sera“ enthüllt hat, um „ein von der CIA zusammen mit der Special Operation Division (SOD), der streng geheimen Einheit des US-Heeres von Fort Detrick in Maryland, durchgeführtes Experiment“; die CIA-Agenten „kontaminierten die in den Bäckereien der Gegend verkauften Baguettes mit LSD“, mit den geschilderten Resultaten. Wir befinden uns in den ersten Jahren des Kalten Krieges: Zwar waren die Vereinigten Staaten Verbündete Frankreichs, aber gerade deshalb bot dieses sich besonders für Experimente des Psychokriegs an, die zwar das „sozialistische Lager“ (und die antikoloniale Revolution) im Visier hatten, aber schwer in den jenseits des Eisernen Vorhangs liegenden Ländern durchgeführt werden konnten.
Internet im Kriegsdienst
Die inzwischen eingetretene „Revolution in Military Affairs (RMA)“ befindet sich in vollem Gang, und sie bezieht sich nicht nur auf die Luftfahrt, Raketen und militärische Systeme im engen Sinn. Einbezogen ist auch Psywar, dem heute das Internet, Mobiltelefone, Facebook, Twitter und Soziale Medien zur Verfügung stehen. Es beginnt ein neues Kapitel der militärischen und paramilitärischen Technologiegeschichte, der internationalen Beziehungen, des Krieges, und dieses Kapitel möchte ich anhand von US-amerikanischen und westlichen Autoren und Presseorganen analysieren, die alles andere als in Opposition zum herrschenden System angesiedelt sind. Bereits Ende der 90er-Jahre konnte man in der „International Herald Tribune“ lesen: „Die neuen Technologien haben die internationale Politik verändert“; wer imstande ist, diese zu kontrollieren, sieht seine Macht und seine Fähigkeit, schwächere und technologisch minder entwickelte Länder zu destabilisieren, maßlos zunehmen. Es ist eine neue Waffe entstanden, fähig, die Machtverhältnisse auf internationaler Ebene noch deutlicher zugunsten des Westens und seiner Hegemonialnation zu verschieben. Das ist für niemand mehr ein Geheimnis. Kürzlich hat in den USA ein König der Fernsehsatire wie John Stewart ausgerufen: „Aber warum schicken wir Heere los, wenn Diktaturen via Internet zu schlagen so einfach ist wie ein Paar Schuhe kaufen?“ In einer dem Außenministerium nahestehenden Zeitschrift wiederum lenkt ein Wissenschaftler die Aufmerksamkeit auf Chancen und Schwierigkeiten, die neuen Medien „als Waffen zu benützen“. Das ist eine Operation, die nicht einfach ist, wenn sie sich auf kurzfristig mit einem bestimmten Land verbundene Ziele konzentriert; besser ist es, langfristige zu verfolgen. Jedenfalls aber ist eine neue Waffe im Militärarsenal aufgetaucht.
Und es handelt sich um eine außergewöhnliche Waffe, die in erster Linie zur Destabilisierung des Feindeslands gedacht ist. Wie aus einem vom damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld unterzeichneten Papier von 2003 hervorgeht, hat „das Pentagon seit Langem darüber nachgedacht, wie sich die durch die neuen Kommunikationsmittel bietenden Vorteile auf militärischer Ebene am besten nutzen ließen“. Im Blick sind nicht nur die traditionellen Schlachtfelder: Mittels „im Ausland mit psychologischen Operationen (kurz ›PsyOps‹) gestreuter Desinformation“ ist es möglich, die innere Entwicklung des einen oder anderen Landes zu formen oder zu bestimmen. Also:
„Das Internet ist das bevorzugte Mittel der amerikanischen Desinformation geworden (…). Verschiedene Operationen sind geplant: Vertreter des Staates, die Journalisten mit Informationen füttern, Truppen, die sich Psychooperationen widmen, die versuchen, die Gedanken und Überzeugungen des Feindes zu manipulieren, Hackerspezialisten, die versuchen, die Computernetze der Gegner zu zerstören (…). Es sind auch Webseiten aufgetaucht mit purer Desinformation über afrikanische Politik und den Balkan, alle vom Pentagon herausgegeben.“
Informationskontrolle
Der Forschungs- und Entwicklungsbereich, in den USA über die zivile Technik hinaus eine tragende Säule der Militärtechnologie, ist dabei, auch den für Internet Wars und PsyOps bestimmten Apparat zu erweitern. Eine Gesellschaft hat Programme realisiert, „die es einem mit einer Desinformationskampagne Beschäftigten erlauben würden, gleichzeitig bis zu siebzig Identitäten anzunehmen (Profile in Netzwerken, Accounts in Foren und so weiter) und parallel zu benutzen: all das, ohne dass aufgedeckt werden könnte, wer diese virtuellen Marionetten führt“. Wer greift auf solche Programme zu? Das ist nicht schwer zu erraten. Die hier zitierte Zeitung, auch wieder nicht als antiamerikanisch verdächtig, präzisiert, dass die fragliche Firma „verschiedenen US-Regierungsstellen wie der CIA und dem Verteidigungsministerium ihre Dienste anbietet“. Man wird an „das von der CIA durchgeführte Experiment“ erinnert, das im Sommer 1951 „eine mysteriöse Welle von kollektivem Wahn“ im französischen „stillen und pittoresken Ort“ Pont-Saint-Esprit auslöste. Wir müssen uns fragen: Dieser „kollektive Wahnsinn“, kann der nur pharmakologisch ausgelöst werden oder kann er heute auch das Resultat der Anwendung von „neuen Technologien“ der Massenkommunikation sein? Weil er über Instrumente verfügen kann, die die Unterscheidung von Wahrheit und Manipulation unmöglich machen, ist der Psychokrieg unvergleichlich wichtig geworden. Man muss sich klarmachen: „Internet und Mobiltelefone“, soziale Medien, „die Revolution in der Kommunikationstechnologie spielen inzwischen eine wichtige Rolle in der Geopolitik dieses Jahrhunderts“, bilden ein wesentliches Element der „Repräsentation der Macht“.
Aber verkörpert das Internet nicht die individuelle Spontaneität an sich? So argumentieren nur die ganz Naiven (oder die ganz Skrupellosen). In Wirklichkeit wird das Internet – befindet Douglas Paal, der schon bei den US-Präsidenten Reagan und Bush senior in Dienst stand – „von einer NGO geleitet, die realiter ein Ableger des Wirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten ist“. Geht es nur um die Wirtschaft? Dazu bat die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ James Bamford, einen der wichtigsten Experten zum Thema der US-Geheimdienste, um Aufklärung: „Die Chinesen fürchten auch, amerikanische Firmen wie Google seien auf chinesischem Boden letztlich Instrumente der amerikanischen Geheimdienste. Ist das paranoid?“ „Überhaupt nicht“ ist die klare Antwort. So sind auch, fügt der Experte hinzu, „ausländische Organisationen und Institutionen infiltriert“ von den US-Geheimdiensten, die allgemein Telefonverbindungen in jedem Winkel des Planeten abzuschöpfen fähig und als die größten Hacker der Welt einzuschätzen sind. Es bestehen – betonen weiter in „Die Zeit“ zwei deutsche Journalisten – keine Zweifel:
„Internetkonzerne sind ein Mittel der US-Geopolitik geworden. Früher bedurfte es mühsamer Geheimoperationen, um politische Bewegungen in fernen Ländern zu unterstützen. Heute reicht oft ein wenig Kommunikationstechnik aus dem Westen (…). Der technische Geheimdienst der USA, die National Security Agency, baut eine ganz neue Organisation für Kriege im Internet auf.“
Man muss wohl kaum hinzufügen, dass dies alles voll bestätigt wurde durch die Enthüllungen von Snowden, der nicht zufällig zur Flucht gezwungen war und zu einem nicht ungefährlichen Leben.
Fakenews und Faktenchecker
Die von den neuen Waffen ins Visier genommenen Länder und Bewegungen schauen nicht einfach zu: Wie in jedem Krieg versuchen die Schwachen den Nachteil auszugleichen, indem sie von den Stärkeren lernen. Und deshalb regen sich letztere auf: „Wer im Libanon eher die neuen Medien und die sozialen Netzwerke beherrscht, das sind nicht dem Westen gegenüber freundliche politische Kräfte“, sondern die Hisbollah. Wie bei den ausgeklügeltsten Waffen im engeren Sinn würden die USA und ihre Verbündeten auch bei den neuen Technologien und den neuen Waffen der massenhaften Information/Desinformation gern das Monopol behalten, indem sie im Nahen Osten wie im Rest der Welt das Gesetz diktieren. Leider – lamentiert Moisés Naím, Direktor von „Foreign Policy“ – hat es der Westen nicht mehr mit jenen „Internetpokerspielern von früher“ zu tun. Die heutigen „schlagen mit gleichen Waffen zurück, betreiben Gegeninformation, vergiften die Brunnen“, eine echte Tragödie aus der Sicht der angeblichen Champions des Pluralismus! Der zaghafte Versuch, einen Alternativraum zu dem von der einzigen Supermacht verwalteten und monopolisierten zu schaffen, wird als „Brunnenvergiftung“ angeprangert: Diejenigen, die bereits das grundlegende Monopol der Produktion von Ideen und Emotionen innehaben, sind darauf aus, es weiter zu stärken, indem sie diejenigen diskreditieren und einschüchtern, die sich irgendwie davor zu schützen suchen.