Der größte Streik der letzten Jahre in Indien richtete sich gegen die „Wirtschaftsreformen“ der rechtsnationalistischen Regierung Modi. Die zehn einflussreichsten indischen Gewerkschaften hatten für den 2. September zu einer 24-stündigen Arbeitsniederlegung aufgerufen. In der Mehrzahl der 27 Bundesstaaten führte der erste ganz Indien erfassende Streik seit dem Machtantritt der Regierung im Mai 2014 zum weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens und zahlreicher Wirtschaftsunternehmen. Der Generalsekretär des Allindischen Gewerkschaftsbundes AITUC, Gurudas Dasgupta, nannte die Zahl von 150 Millionen Beteiligten – bei einer Gesamtbevölkerung Indiens von 1,3 Milliarden Einwohnern mehr als jede(r) Zehnte.
Überwiegend verliefen der Streik und die Kundgebungen oder Demonstrationen ohne Zusammenstöße. Nur an wenigen Orten, so in Kalkutta, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, als die Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas gegen Streikposten vorging und eine Sitzblockade von mehreren Dutzend Frauen mit Gewalt räumte.
Die stärkste Beteiligung war in den Hochburgen der Linken zu verzeichnen, so im ostindischen Bundesstaat Tripura, der seit 1993 ununterbrochen von einer Regierung der „Linksfront“ regiert wird, deren Säulen die beiden kommunistischen Parteien (KP Indiens – Marxisten – CPIM und KP Indiens – CPI) sind. Bei der letzten Wahl im Februar 2013 hatte die Linksfront hier einen Erdrutschsieg errungen. Auch im ostindischen Bundesstaat Westbengalen und im südindischen Kerala, die bis 2011 unter einer kommunistisch geführten Regierung standen, waren das öffentliche Leben und die Wirtschaft am Streiktag fast völlig lahmgelegt.
Hauptgrund für den Streik war die von der Regierung beabsichtigte „Arbeitsmarktreform“. Darin ist u. a. vorgesehen, dass gesetzliche Regelungen abgeschafft werden, die es Unternehmen erschweren, Beschäftigte zu entlassen und Betriebe zu schließen. Die Deregulierung von Arbeitszeiten soll erleichtert, gewerkschaftliche Mitspracherechte bei der Arbeitszeitregelung und Entlassungen sollen abgeschafft werden. Damit will die Modi-Regierung neben den einheimischen Großkapitalisten vor allem dem Auslandskapital entgegenkommen, das zu mehr Investitionen in Indien ermuntert werden soll.
Die Gewerkschaften hatten sich vor dem Streik auf eine „gemeinsame Plattform“ von elf zentralen Forderungen geeinigt. Dazu gehörten die Rücknahme der unternehmerfreundlichen „Arbeitsmarktreform“, die Erhöhung des Mindestlohns von derzeit 4000–9000 auf einheitlich 15 000 Rupien (ca. 200 Euro), die Gleichstellung beim Lohn von befristet Beschäftigten mit Beschäftigten in Normalarbeitsverhältnissen, der Stopp weiterer Privatisierungen und des Verkaufs öffentlicher Unternehmen an das Auslandskapital, Maßnahmen gegen die Finanzspekulation sowie eine Sozialversicherung und Renten für alle lohnabhängig Beschäftigten. Ursprünglich war diese Forderungsplattform sogar von elf Gewerkschaften beschlossen worden. Doch die der „hindunationalistischen“ (in Wahrheit moslemfeindlichen) Regierungspartei BJP (Bharatiya Janata Party) nahestehende Gewerkschaft BMS hatte sich nach einem Treffen mit dem Finanzminister vom Streikaufruf zurückgezogen. Angeblich hatte der Minister „bedeutende Zusagen“ in Aussicht gestellt. Die anderen zehn Gewerkschaften fanden jedoch, dass das Gespräch mit dem Minister zu keinerlei konkreten Ergebnissen geführt hatte.