12 Euro nicht durchsetzbar?

Manfred Dietenberger zum Mindestlohn

Im August 2004 mahnte der damalige IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters mit Blick auf die Mindestlohndiskussion im Handelsblatt: „Die Erfahrungen der Geschichte haben uns gelehrt, die Finger davon zu lassen. Wir stehen einem gesetzlichen Mindestlohn skeptisch gegenüber“ und weiter: „Die Lohnpolitik muss den Tarifparteien vorbehalten bleiben.“ Heute, in Zeiten grassierender Tarifflucht und schwindender gewerkschaftlicher Gegenmacht, kann auf die Krücke Mindestlohn anscheinend nicht verzichtet werden. Und so hat das Bundeskabinett jüngst beschlossen, den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro um 35 Cent auf 9,19 Euro pro Stunde zu erhöhen. In einem weiteren Schritt wird der Mindestlohn ab dem Jahr 2020 auf 9,35 Euro angehoben.

Wer arbeitet, muss einen auskömmlichen Lohn bekommen, der die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Das wusste schon mein Genosse Friedrich Engels, als er 1881 im Leitartikel des englischen Gewerkschaftsblatts „Labour Standard“ schrieb, die Lohnhöhe sei keine moralische Frage, sondern werde allein durch „die Wissenschaft von der politischen Ökonomie“ bestimmt. Ein gerechter Tagelohn sei „unter normalen Bedingungen die Summe, die erforderlich ist, dem Arbeiter die Existenzmittel zu verschaffen, die er entsprechend dem Lebensstandard seiner Stellung und seines Landes benötigt, um sich arbeitsfähig zu erhalten und sein Geschlecht fortzupflanzen“.

Durch die Bindung des Mindestlohns an die Tarifentwicklung ist der Mindestlohn immer nur „nachlaufend“ an die Dynamik der Löhne gekoppelt. Selbst wenn die Tariflöhne steigen, wird so der Mindestlohn der sozialen Notwendigkeit ewig hinterher humpeln. Diese Erkenntnis teile ich mit dem Bundesvorsitzenden der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB), Andreas Luttmer-Bensmann. Er fordert richtig einen „Systemwechsel bei der Festlegung der Lohnuntergrenze in Deutschland“. Die derzeitige Handhabung ermögliche nur eine nachholende Anpassung in Trippelschritten. „Der Mindestlohn muss endlich auf eine andere Basis gestellt werden und mindestens 13,44 Euro für die geleistete Arbeitsstunde betragen.“ Mit einem solchen Lohn sei Leben in Deutschland möglich, für gutes Leben reiche es immer noch nicht.

Das gefällt mir als altgedientem Gewerkschafter gut, doch wen die Forderung nach 13,44 Euro zu kühn dünkt, der bedenke, dass selbst die Bundesregierung auf Anfrage zugegeben hat, dass für eine Nettorente oberhalb des Grundsicherungsniveaus „rechnerisch ein Stundenlohn von 12,63 Euro erforderlich“ wäre.

Nicht durchsetzbar? Die Partei „Die Linke“ fordert die 12 Euro schon lange, aber auch Olaf Scholz, Andrea Nahles und andere SPD-Marktschreier fordern jetzt doch auch die 12 vor dem Komma. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte dazu: „Warum spitzt der Vizekanzler nur die Lippen und pfeift nicht?“ Will Scholz 12 Euro Mindestlohn, dann sollte er diese halt durchsetzen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"12 Euro nicht durchsetzbar?", UZ vom 23. November 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit