Armutsfester Mindestlohn lässt auf sich warten

12 Euro bleiben Zukunftsmusik

Bundesarbeits- und -sozialminister Hubertus Heil hat für Januar einen Gesetzentwurf angekündigt, durch den der gesetzliche Mindestlohn perspektivisch auf 12 Euro ansteigen soll. Geht es nach dem Bundesarbeitsminister, sollen zukünftig auch mittlere Einkommen als Orientierungsrahmen für die Beratungen der Mindestlohnkommission berücksichtigt werden. Aktuell orientiert sich die Kommission an 46 Prozent des mittleren Lohns. Mit Inkrafttreten des Gesetzes sollen es 60 Prozent des Durchschnittslohns sein, was aktuell einem Stundenlohn von 12 Euro entsprechen würde.

Kommt nun endlich ein armutsfester Mindestlohn, wie ihn die Gewerkschaften und auch die DKP seit Langem fordern? Für die Millionen Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeitskraft im Niedriglohnsektor verkaufen müssen, wäre dies zu hoffen.

Allerdings wird die Mindestlohnkommission – vorausgesetzt, dass das Gesetz die parlamentarischen Hürden nimmt – erst ab 2022 auf der beschriebenen Grundlage arbeiten können. Zunächst bleibt es dabei, dass die allgemeine Lohnuntergrenze von aktuell 9,35 Euro zum 1. Januar zunächst auf 9,50 Euro und danach in drei Halbjahresschritten bis Juli 2022 auf 10,45 Euro ansteigen wird.

Ob dann ab 2022 wirklich eine Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro erfolgen wird, ist keineswegs sicher. Zum einen ist zweifelhaft, ob die CDU als Koalitionspartner der SPD den Gesetzentwurf unmittelbar vor der anstehenden Bundestagswahl mittragen wird, und zum anderen, ob nach der Wahl die Sozialdemokraten überhaupt noch Teil der nächsten Bundesregierung sein werden.

Wenn der gesetzliche Mindestlohn tatsächlich vor Armut – auch im Alter – schützen soll, wäre statt solcher Trippelschritte mit ungewissem Ausgang eine zügige Anhebung auf 12 Euro, so wie es der DGB fordert, dringend geboten.

Insgesamt fällt die Bilanz des DGB nach fast sechs Jahren Mindestlohngesetz durchwachsen aus. Zweifelsfrei positiv ist, dass durch die Einführung des Mindestlohns die Abkopplung der untersten Einkommen von der allgemeinen Lohnentwicklung gestoppt werden konnte. Stundenlöhne von 5 Euro und darunter waren bis dahin keine Seltenheit. Insgesamt haben vier Millionen Lohnabhängige von der Einführung profitiert. Vor allem bei Kolleginnen und Kollegen in Ostdeutschland, bei geringfügig Beschäftigten, Personen ohne Berufsausbildung sowie Frauen hat der Mindestlohn zu höheren Stundenlöhnen geführt.

Andererseits sind neben dem nicht existenzsichernden Niveau vor allem die Ausnahmen für Langzeitarbeitslose, Jugendliche unter 18 und freiwillige Praktika während der Ausbildung beziehungsweise des Studiums Kritikpunkte der Gewerkschaften an der aktuellen Ausgestaltung des Gesetzes.

Zu den Ausnahmeregelungen als legalen Schlupflöchern für die Unternehmer kommt millionenfacher krimineller Mindestlohnbetrug hinzu. Um diesen zu unterbinden, wären deutlich mehr und bessere Kontrollen notwendig. Die Pflichten zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten müssten ausgeweitet und die Strafen für kriminelle Unternehmer drastisch erhöht werden. Ein weiteres wirkungsvolles Instrument wäre der Ausschluss von Mindestlohnbetrügern bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Fördergeldern.

Dieser Maßnahmenkatalog fällt zwar nicht in den Hoheitsbereich des Arbeitsministeriums, sondern ist Aufgabe des Finanzministeriums. Aber auch dessen Hausherr Olaf Scholz hatte sich ja fast zeitgleich zu den Ankündigungen von Hubertus Heil für eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ausgesprochen. Es werden noch Wetten angenommen, ob nach dem Wahlkampfgetöse der Niedriglohnsektor tatsächlich ausgetrocknet wird oder weiterhin die großen Banken und Konzerne subventioniert werden.

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"12 Euro bleiben Zukunftsmusik", UZ vom 24. Dezember 2020



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