Achtzehnter Verhandlungstag im Prozess um den Polizeimord an Mouhamed Dramé in Dortmund: Ein Sachverständiger des LKA spricht über seine Untersuchungen der eingesetzten Taser

109 elektrische Impulse in fünf Sekunden

Kurzer Prozess: Keine halbe Stunde hat der 18. Verhandlungstag im Prozess gegen fünf der Polizisten gedauert, die an dem tödlichen Einsatz gegen Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 in einer Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt beteiligt waren. Der einzige Punkt auf der Tagesordnung war der Bericht und die Befragung des Sachverständigen Ralf I. Der Elektroingenieur, 58 Jahre alt, arbeitet beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen.

In dieser Funktion untersuchte er die beiden Distanzelektorimpulsgeräte (DEIG, landläufig als Taser bekannt), mit denen die Angeklagten Markus B. und Pia Katharina B. Mouhamed Dramé angegriffen hatten. In einem „Multiplex-Vorgang“, also verschiedenen Untersuchungen, berichtet I. in sachlichem, emotionslosen Beamtendeutsch. Dahinter seien die Fragen gestanden, ob die verschossenen Pfeilspitzen den eingesetzten Geräten konkret zugeordnet werden können und ob ein geschlossener Stromkreis zustande gekommen sei.

Zwei der Elektroden seien am Tatort sichergestellt worden, eine dritte im Krankenhaus, „am Penis des Geschädigten“. An zwei der Pfeilspitzen habe er Blutspuren des Geschädigten festgestellt. Es sei nicht möglich gewesen, die verschossenen Elektroden zu bestimmten Tasern zurückzuverfolgen, sagt Ralf I. Er erklärt, wie Taser funktionieren. Die von der Polizei Nordrhein-Westfalens benutzten DEIG seien immer mit zwei Kartuschen ausgestattet, einer für den Nahbereich und eine für den Fernbereich. Die unterschieden sich darin, in welchem Winkel die beiden Pfeilspitzen verschossen würden: Für weitere Distanzen sei ein spitzerer Winkel erforderlich, weil sich die Elektroden im Flug ausbreiteten. Nach dem Einschalten sei die Kartusche für den Nahbereich aktiv, wolle man die für den Fernbereich nutzen, müsse man umschalten.

Einer der beiden eingesetzten Taser muss mit beiden Elektroden getroffen haben. Die Isolierung einer der Drähte sei punktuell thermisch geschädigt gewesen, sagt I. Das passiere nach einer Spannungsüberladung und sei typisch für die „Entladung durch einen Körper“. Dieser Taser habe 109 elektrische Impulse in fünf Sekunden abgegeben.

„Also hat er funktioniert?“, fragt der Vorsitzende Richter Thomas Kelm nach. „Ja“, antwortet der Sachverständige.

Rechtsanwältin Lisa Grüter, die die Nebenkläger vertritt, wird an diesem 18. Prozesstag von ihrem Kollegen Peter Budde vertreten. Budde zitiert aus einem Gutachten, demzufolge die falsche Kartusche bei einem der Taser ausgewählt worden sein soll. „Davon weiß ich gar nichts“, sagt Ralf I.

Bevor die beiden Taser eingesetzt wurden, hatte die Angeklagte Jeannine Denise B. das Opfer unangekündigt mit Reizgas angegriffen. 0,717 Sekunden nach dem letzten Taserangriff soll der wegen Totschlags angeklagte Fabian S. sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole auf Mouhamed Dramé abgegeben haben. Fünf davon trafen. Dramé starb kurz darauf im Krankenhaus. Er hatte in dem geschlossenen Innenhof der Jugendhilfeeinrichtung in einer Mauernische gekauert und sich, vermutlich in suizidaler Absicht, ein Küchenmesser an den Bauch gehalten. Seine Betreuer hatten ausgesagt, er sei zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für andere gewesen.

Der Prozess wird am 7. August fortgeführt. Am 8. August jährt sich der Polizeimord an Mouhamed Dramé zum zweiten Mal. Aus diesem Anlass lädt der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed zu einer Gedenkfeier um 17 Uhr auf dem Kurt-Piehl-Platz in Dortmund ein.

Unsere bisherige Berichterstattung über den Prozess haben wir hier zusammengestellt.

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