107 Jahre später

Barbara Kuprat zum Internationalen Frauentag

Unter dem Hashtag „Me Too“ wird unter großer medialer Aufmerksamkeit eine Sexismus-Debatte geführt, die beim diesjährigen Internationalen Frauentag kaum übergangen werden kann. Seit Oktober vergangenen Jahres meldeten sich Millionen Menschen zu Wort, um in den „Sozialen Medien“ über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt zu berichten. Das Spektrum reicht dabei von Anmache über Grapschen bis zu Vergewaltigung.

Etwa 40 Prozent aller Frauen haben laut Medienberichten mindestens einmal in ihrem Leben sexuelle Gewalt erlitten – eine Gewalt, die der Machtdemonstration des Mannes dient. Das bekräftigt die Notwendigkeit einer Debatte. Wenig hilfreich sind z. B. das Übermalen als frauenfeindlich interpretierter Gedichte (UZ vom 2.2.) oder das Abhängen mythologischer „frauenfeindlicher“ Gemälde in Museen (Hylas und die Nymphen, Manchester). Auch über das öffentliche namentliche Anprangern von Männern kann man unterschiedlicher Meinung sein.

Die Frage ist doch, wo die Ursachen für sexuelle Gewalt liegen. Muss die „Me Too“-Debatte nicht der Anfang einer viel weiterreichenden Kampagne sein? Wie kann es sein, dass eine große Zahl von Männern auch im Jahr 2018 immer noch bewusst und unbewusst sexistisch agieren, statt sich solidarisch zu zeigen?

Wie kann es sein, dass Frauen in Deutschland 107 Jahre nach dem ersten Internationalen Frauentag immer noch 21 Prozent weniger Lohn bekommen als Männer? Es ist eine Verhöhnung der Frauen, ihnen mit dem absurden „Entgeltgleichheitsgesetz“ zu erlauben, sich in Betrieben mit über 200 Beschäftigten nach dem Einkommen ihrer Kollegen zu erkundigen. Mal abgesehen davon, dass sie damit noch lange nicht das dem Kollegen entsprechende Gehalt bekommen – 60 Prozent aller Frauen sind von dem Auskunftsrecht ausgeschlossen, da sie in kleineren Betrieben tätig sind. Die Forderung bleibt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Frauen sind immer noch diejenigen, die zu Hause bleiben, wenn Kinder, Alte oder Kranke versorgt werden müssen. Sie sind es, die in Teilzeit arbeiten oder in Minijobs und deren Rente dann zum Leben nicht reicht. Wir fordern ein Verbot von Minijobs, nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, nach mehr, besseren und kostenlosen Kindertagesstätten – und Männer müssen ihren Teil der Sorgearbeit übernehmen.

Frauen werden noch immer auf die Attribute jung, sexuell attraktiv und möglichst schlicht degradiert. Das Geschäft mit der „Schönheit“ ist profitabel, die Sexindustrie macht riesige Umsätze. Nach Schätzung des Familienministeriums gehen täglich etwa 1,2 Millionen Männer in Deutschland zu Prostituierten. Die Forderung bleibt: Schluss mit sexistischer Werbung und der Darstellung von Frauen als Sexualobjekt, mit entwürdigenden Kuppel-Shows und Top-Model-Wettbewerben.

Vor 100 Jahren haben Frauen in Deutschland das allgemeine Wahlrecht erstritten. Dies war eine der ersten Forderungen zum Internationalen Frauentag. 1977 bekamen Frauen das Recht, ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes berufstätig zu sein, erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe verboten – Schwangerschaftsabbruch ist immer noch strafbar.

Frauenrechte wurden in kleinen Schritten hart erkämpft. Es gibt noch so vieles, was noch erstritten werden muss.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"107 Jahre später", UZ vom 9. März 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit