Wir erinnern an den Mord am deutschen Außenminister Walther Rathenau vor 100 Jahren. Wer die Errichtung der NS-Herrschaft in Deutschland untersucht, kommt an der Tatsache nicht vorbei, dass schon in der Weimarer Republik faschistische Mordbanden unterwegs waren, die mit Attentaten gegen demokratische Politiker den „jüdisch-bolschewistischen Feind“ vernichten wollten.
Das erste Opfer war Matthias Erzberger, der im November 1918 als Bevollmächtigter der deutschen Regierung den Waffenstillstand unterzeichnet hatte. Mitglieder der völkisch-nationalistischen Freikorps-Organisation „Consul“ ermordeten Erzberger am 26. August 1921. Ein knappes Jahr später verübten sie ein Blausäure-Attentat auf Philipp Scheidemann, der am 9. November 1918 die parlamentarische deutsche Republik ausgerufen hatte. Obwohl Scheidemann kein Anhänger der Novemberrevolution war, galt er in den Augen der extremen Rechten als „Novemberverbrecher“. Scheidemann überlebte schwer verletzt das Attentat vom 4. Juni 1922.
Das dritte Opfer war Walther Rathenau, der aus mehreren Gründen in das Visier der völkisch-nationalistischen Kräfte geraten war. Er war ein linksliberaler Politiker, galt jedoch als Jude und „Erfüllungspolitiker“. Obwohl er erst im Februar 1922 in die deutsche Regierung eintrat, wurde er schnell zur Zielscheibe der völkischen Propaganda. Seine große außenpolitische Leistung war der Abschluss des Vertrags von Rapallo am 16. April 1922 mit Sowjetrussland, mit dem es beiden Staaten gelang, die außenpolitische und wirtschaftliche Isolierung seit dem Ende des Ersten Weltkrieges aufzubrechen. Diese Zusammenarbeit mit dem „Bolschewismus“ verstärkte den Hass der Rechtskräfte. Vor 100 Jahren, am 24. Juni 1922, griffen drei Mitglieder der Organisation „Consul“ das Auto von Rathenau mit Maschinenpistole und Handgranate an. Rathenau starb noch vor Ort.
Das vierte Opfer dieser Gewaltserie war der Publizist Maximilian Harden, der immer wieder die Gefahr der extremen Rechten angeprangert hatte. Er war einer der wenigen Publizisten, die den Versailler Vertrag verteidigten, weil er von der Kriegsschuld des kaiserlichen Deutschlands überzeugt war. Damit geriet er in das Fadenkreuz der völkisch-nationalistischen Kräfte. Ein Attentat am 3. Juli 1922 überlebte er mit schwerer Kopfverletzung.
Die Verfolgung der Täter gestaltete sich schwierig, da Polizei und Justiz immer wieder die Tatsache versuchten auszublenden, dass es sich hier um einen organisierten völkisch-nationalistischen Terror handelte. Alle Personen, die man ermitteln konnte, wurden als „Einzeltäter“ angeklagt. Selbst als im Zusammenhang mit dem Rathenau-Mord im Oktober 1922 dreizehn Personen vor Gericht standen, da bei einer Durchsuchung des Hauptquartiers der Organisation „Consul“ in München hinreichend belastendes Material gefunden worden war, kam das Thema im Prozess nicht zur Sprache. Das Gericht ließ in seiner Urteilsbegründung offen, ob es sich um ein organisiertes Komplott gehandelt habe. Man sah als Motiv die Wirkung antisemitischer Parolen, so dass dieser Mord die Tat fanatisierter „Einzeltäter“ gewesen sei.
Diese Mordserie zeigt, dass der deutsche Faschismus seine gewalttätigen Vorläufer hatte. Als Adolf Hitler gemeinsam mit General Erich Ludendorff am 9. November 1923 den Putschversuch in München als „Marsch auf die Feldherrenhalle“ inszenierte, hatte er die Hoffnung, dass er im politischen Umfeld genügend militärisch ausgebildete Mitstreiter finden würde. Damals scheiterte die Machtübernahme noch. Die Attentate auf Walther Rathenau und andere Politiker, sowie der Hitler-Ludendorff-Putsch waren Warnsignale für die politischen Gefahren, denen die demokratische Entwicklung in Deutschland ausgesetzt war. Justiz, Sicherheitsdienste und Militär waren aber nicht bereit, die Weimarer Republik angemessen gegen diese Bedrohung zu schützen. Sie trugen auf diese Weise Mitverantwortung für die Errichtung der faschistischen Herrschaft im Jahr 1933.