Für die Leitmedien ist die Sache klar: Der Russe ist schuld

Wer treibt die Gaspreise hoch?

Wer ist schuld daran, dass das Erdgas in Deutschland so knapp und teuer geworden ist? Für die Leitmedien, für so manchen Politiker in Berlin ist die Sache klar: Russland ist schuld. Ist Russland denn nicht das Land mit den größten Erdgasvorräten der Welt? Könnte es nicht völlig problemlos ein wenig mehr liefern, um der schwer darbenden Bundesrepublik zu mehr Erdgas und damit zu billigeren Energiepreisen zu verhelfen? Da sieht man‘s mal wieder: Moskau nutzt mutwillig die bittere Notlage seiner europäischen Nachbarn aus, um heimtückisch Druck auszuüben – mit dem Ziel, eine Inbetriebnahme der Erdgaspipeline Nord Stream 2 zu erzwingen. Die Medien schäumen. „Erpressung“! Moskau nutzt „Erdgas als Waffe“! Es führt einen „Gaskrieg“!

Joerg Kronauer - Wer treibt die Gaspreise hoch? - Energiepreise, Russland - Positionen

Was ist dran an den Vorwürfen gegen Moskau? Wie so oft: eigentlich nichts. Gazprom hat seine Lieferverträge bislang penibel erfüllt. Dabei stand der Konzern zumindest bis Anfang November erheblich unter Druck, die wegen ziemlich kalter Wintermonate Anfang 2021 mehr als sonst geleerten russischen Gasspeicher aufzufüllen und zugleich sämtliche langfristigen Lieferverträge zu bedienen, darunter Verträge für die neue große Pipeline TurkStream. Spielraum für Sonderlieferungen an die Bundesrepublik war die meiste Zeit des Jahres nicht da.

Einbrüche gegenüber 2020 gab es allerdings beim Import von Flüssiggas, der, berechnet für die EU und Großbritannien, von 91,0 Milliarden Kubikmetern in den ersten elf Monaten 2020 auf rund 79,4 Milliarden Kubikmeter im Vergleichszeitraum 2021 abstürzte. Das hatte nicht zuletzt mit gesunkenen Flüssiggasimporten aus den USA zu tun. Von der US-Regierung als Alternative zu russischem Erdgas, als „Freedom Gas“, angepriesen, brachten US-Tanker das Flüssiggas im vergangenen Jahr dorthin, wo die höchsten Preise zu erzielen waren: nach Asien. Das Ausbleiben von US-Flüssiggas traf auch Polen, ein Land, das in Europa zu den entschiedensten Propagandisten für US-Gas zählt; es musste zum Jahreswechsel Erdgas aus deutschen Speichern einführen, wofür die Jamal-Pipeline verwendet wurde, über die sonst russisches Gas nach Westen fließt.

Die dazu erforderliche Schubumkehr wiederum wurde in Deutschland genutzt, um einen neuen Verdacht gegen Moskau zu wecken: Hat Gazprom jetzt etwa seine Lieferungen ganz eingestellt? Pumpt es am Ende gar Erdgas zurück? Springers „Welt“ ergänzte den jüngsten Propaganda-Schub um eine Jubelmeldung: Im Dezember, als Russland die EU fest in seine Klauen gezwungen habe, hätten „mindestens zehn“ US-Tanker mit Flüssiggas Kurs auf Europa genommen; da tauche jetzt – endlich! – „am westlichen Horizont als Retter in der Not eine Flotte amerikanischer Gastanker auf, um Europas Energiearmut zu lindern“. Nun, die „Rettung“ dürfte von kurzer Dauer sein: Der Flüssiggasmangel hatte den Gaspreis in Europa für einen kleinen Moment über denjenigen in Asien getrieben; prompt schlugen US-Konzerne, ihre Profite maximierend, zu. Das aber hat den europäischen Preis schon wieder unter den asiatischen sinken lassen. Welche Schlüsse die US-Flüssiggaslieferanten daraus ziehen werden, kann man ahnen.

Moskau hingegen hat zum Jahreswechsel mitgeteilt, Nord Stream 2 sei nun befüllt und endgültig betriebsbereit. Für die Pipeline gibt es keine alternativen Absatzmärkte; sie kann nur Deutschland beliefern. Kann man es Gazprom verdenken, dass der Konzern die Leitung, die in Absprache mit Berlin für Milliardensummen errichtet wurde, jetzt endlich in Betrieb nehmen will? So ließe sich die Knappheit in Europa tatsächlich lindern. Freilich müssten Berlin und Brüssel mit dem Widerstand gegen die Pipeline eine Karte im Machtpoker gegen Moskau abwerfen. Für Letzteren zahlt einmal mehr die Bevölkerung den Preis.

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"Wer treibt die Gaspreise hoch?", UZ vom 7. Januar 2022



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