Der „Friedensgipfel“ in der Schweiz endete mit einer Ohrfeige für den Westen

Krieger treffen auf Realität

Für seine Verhältnisse kommentierte Wladimir Selenski das Ergebnis der als „Friedensgipfel“ beworbenen Konferenz am vergangenen Wochenende auf dem Bürgenstock bei Luzern verhältnismäßig nüchtern: „Ein Dialog fand statt. Und er kann praktische Folgen haben.“ Die Zurückhaltung war angebracht. In Wirklichkeit handelte es sich bei der Abschlusserklärung um eine schallende Ohrfeige für Kiew und den kollektiven Westen. Erteilt wurde sie von den Ländern des globalen Südens. Ziel des Treffens war gewesen, möglichst viele dieser Staaten zu einer Verurteilung Russlands wegen des Ukraine-Kriegs und zur Forderung nach Abzug zu bewegen. In der Abschlusserklärung findet sich davon nichts. Sie verlangt die Einhaltung der UN-Charta in allgemeiner Form und beschränkt sich auf drei von zehn Forderungen aus Selenskis „Friedensplan“: Keine Drohung oder Einsatz von Atomwaffen, Sicherung von Nahrungsmittellieferungen und Austausch Gefangener. Sie verlangt aber die Einbeziehung „aller Parteien“, also auch Russlands. Allein das ist ein Schlag gegen die Weigerung Kiews und seiner Paten im Westen, mit Moskau zu reden.

160 Staaten waren eingeladen und zur Teilnahme gedrängt worden. Am Ende schickten 92 ihre Vertreter, außerdem acht Organisationen, von denen die EU drei (Kommission, Rat, Parlament) stellte. Von den 56 anwesenden Staats- und Regierungschefs kamen 40 aus westlichen Ländern, unter den übrigen seien mit Ausnahme von Argentinien und Kenia „keine politischen Schwergewichte“ gewesen, hielt die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) fest. Der Begriff „Gipfel“ war daher ein westlicher Propagandawitz, die Bezeichnung „Friedenskonferenz“ durch den Ausschluss Russlands und die Nichtteilnahme Chinas, um das sich die Schweiz besonders bemüht hatte, Etikettenschwindel. US-Präsident Joseph Biden mied das Spektakel, flog vom G7-Gipfel in Italien zu einem Wahlkampftermin mit Hollywoodstars und schickte seine Vizepräsidentin Kamala Harris. Die verließ den Bürgenstock noch am Samstag, Olaf Scholz und Emmanuel Macron taten es ihr gleich – bloß weg.

Endgültig peinlich wurde es beim Abschlussdokument. Am Sonntag hieß es, 80 Staaten hätten es unterzeichnet. Am Montag zogen Irak und Jordanien ihre Unterschriften zurück. Die NZZ mutmaßte am Dienstag: „Vieles deutet auf eine konzertierte Enthaltung der arabischen Welt hin.“ Denn außer Katar, dem das Tagungshotel auf dem Bürgenstock gehört, lehnten Saudi-Arabien, Irak, Libyen, Jordanien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate die Deklaration ab. Die imperiale Doppelmoral der G7-Staaten zum Gaza-Krieg, die sie auf ihrem Gipfel in Apulien in den Tagen vor der Luzerner Konferenz demonstriert hatten, war nicht mehr hinnehmbar.

Die Listen der Teilnehmer und der Unterschriftenverweigerer spiegeln das sich ändernde Kräfteverhältnis in der Welt wider. Die drei auf der Konferenz nur mit Politikern der zweiten Reihe vertretenen BRICS-Staaten – Indien, Brasilien und Südafrika – hielten „eisern zusammen“ (NZZ) und unterschrieben nicht. Aus Lateinamerika waren zwölf Delegationen angereist, wobei Kolumbiens Präsident Gustavo Petro in letzter Minute absagte. Er sprach von der Gefahr einer weltweiten Feuersbrunst, angesichts deren sich sein Land nicht auf eine Seite ziehen lassen wolle. Brasilien hatte den Ausschluss Russlands scharf kritisiert und unterzeichnete ebenso wie Mexiko nicht. Aus der Rolle fiel der angeblich linke Präsident Chiles, Gabriel Boric, der seine Kollegen angriff, weil sie damit angeblich ideologischen Dogmen folgten. Aus Südostasien waren nur vier Länder vertreten, von denen zwei – Indonesien und Thailand, die nicht durch US-Kritik oder Russland-Nähe auffallen – ebenfalls nicht unterschrieben. Es blieb bei den Philippinen und Singapur.

Den Zusammenprall von westlicher Arroganz und Realität führte nicht nur Wladimir Putin, der am Freitag noch Verhandlungen anbot, herbei, sondern auch die Selenski-Truppe selbst. In der ihr eigenen Bescheidenheit hatte sie in Bern verkündet, sie habe nie eine Moskauer Delegation dabei haben wollen. Die NZZ kommentierte den Affront noch am Sonntag: „Das macht die Bezeichnung ‚Friedensgipfel‘ von Anfang an zur Farce, lässt die Schweiz wie eine PR-süchtige Marionet te dastehen.“

Das Ganze wurde so zum Ausdruck der neuen globalen Verhältnisse. Der Forderung nach Einbeziehung Russlands in künftige Gespräche konnte sich selbst Scholz nicht entziehen – eine persönliche Kehrtwende, wenn auch keine Zeitenwende. Der globale Süden wirkt.

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"Krieger treffen auf Realität", UZ vom 21. Juni 2024



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