Eine Graphic Novel über die Flucht des Josef Mengele und seine Helfer

Hakenkreuz im Pool

Es ist selten, dass man schon auf der vierten Seite einer Graphic Novel stinkwütend ist – vor allem, wenn sie gut ist. Aber in diesem Fall könnte man vor Wut schreien.

Ein Mann erfährt in Genua, wie er nach Argentinien kommt und was dort für ihn getan werden wird. Geld ist kein Problem, schließlich ist seine Familie immer noch einflussreich und überaus wohlhabend und der Mann selbst hat „wichtige Funktionen“ ausgeübt. Was den wütenden Lesern da in wenigen Bildern und eindrücklichen Worten vorgestellt wird, ist die „Rattenlinie“, auf der Nazi-Verbrecher sich nach Südamerika absetzten. Der Mann, der sich in Genua auf den Weg macht, ist Josef Mengele.

„Das Verschwinden des Josef Mengele“ von MATZ und Jörg Mailliet basiert auf dem gleichnamigen Tatsachenroman von Olivier Guez. Die Graphic Novel besticht durch hohes Tempo und eindrückliche Bilder. Der arrogante, selbstverliebte Nazi Mengele ist nach wie vor von seiner Menschenverachtung überzeugt und wird in Argentinien mit offenen Armen empfangen – alte Nazikumpels inbegriffen. Die Bilder der Nazis im Luxus (Swimmingpool mit Hakenkreuzdeko inklusive) kontrastieren eindringlich mit denen der wenigen, gut gesetzten Rückblenden auf die Verbrechen, die Mengele begangen hat. In blassen Farben gezeichnet klammert sich dort zum Beispiel ein verängstigtes Zwillingspärchen aneinander. Nach Mengeles „Experiment“ sind beide tot und der Folterarzt hochzufrieden.

Der für das Szenario verantwortliche MATZ hat aus dem Roman von Guez die Essenz begriffen und sie in 192 Seiten gegossen, Mailliet gelingt es, mit den Zeichnungen das darzustellen, wofür auf den wenigen Seiten Worte nicht ausgereicht hätten.

In heutigen Zeiten ist es fast erstaunlich, dass Roman und Graphic Novel nicht bei den Verbrechen Josef Mengeles stehenbleiben, sondern den Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapital benennen, die Helfershelfer bloßstellen, die mit Geld und Einfluss dafür sorgten, dass Naziverbrecher wie Mengele mehr oder weniger unbehelligt leben konnten. Da ist nicht nur die Regierung Perón, die die Nazi-Eliten mit offenen Armen in Argentinien empfangen hat, sondern auch die Familie Mengele, die sogar noch für eine Scheidung des offiziell gefallenen Folterarztes sorgt, damit er durch eine erneute Heirat Anteile an der familieneigenen Firma „zurückholen“ kann. Die Firma lenkt er auch aus dem Exil mit. Und da ist der deutsche Polizei- und Staatsapparat, der Mengele schützt.

Da sind aber auch die wenigen Aufrichtigen wie Fritz Bauer. Auch wenn er nicht gefunden werden wird – die Luft wird dünner für Mengele. MATZ und Mailliet folgen ihm über Paraguay nach Brasilien. Sein Leben ist bald geprägt von Paranoia und je schlechter seine Situation und Verfassung wird, desto rissiger wird die Maske des kultivierten Nazis, desto mehr muss er seine vermeintliche Überlegenheit herausschreien.

Olivier Guez schreibt über seinen Roman, darin erzähle er „die Geschichte eines Skorpions. Aber jedes Mal, wenn du einen Stein umdrehst, ist da eine Vogelspinne, eine Klapperschlange, eine Kobra: die Freunde des Skorpions.“ Diese sorgen dafür, dass der Folterarzt Josef Mengele niemals gefasst wird. Dazu trägt vor allem die Familie bei, auch Mengeles Sohn Rolf, der sich zwar als „links“ sieht, seinen Vater aber trotzdem in Brasilien besucht und trotz seiner Abscheu gegen den alten Nazi keine Hinweise an die Strafverfolgung gibt. Das Geheimnis hielt bis über den Tod Mengeles hinaus, begraben wurde er unter seinem Tarnnamen, erst Jahre nach seinem Tod wurden die Überreste identifiziert. Die Jagd auf ihn hatte erst dann ein Ende.

„Das Verschwinden des Josef Mengele“ zeigt einen unverbesserlichen Nazi, der dank eines Unterstützernetzwerks erst im Luxus, dann ordentlich, dann in relativer Armut, aber immer ohne erwischt zu werden leben konnte. Am Schluss war er krank, paranoid, einsam. Wenigstens etwas.


MATZ und Jörg Mailliet
Das Verschwinden des Josef Mengele
Nach dem Roman von Olivier Guez
Knesebeck Verlag, 192 Seiten, 25 Euro


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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Hakenkreuz im Pool", UZ vom 28. Juni 2024



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