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Der Schrumpfkurs
Beate Landefeld zur Vertrauenskrise in der SPD
|   Ausgabe vom 9. Februar 2018
Beate Landefeld
Dem neoliberalen Umbau, der in der Agenda 2010 gipfelte, gingen Helmut Schmidts kapitalorientierte Sparpolitik und sein Reformabbau seit der Krise 1974/75 sowie Helmut Kohls „geistig-moralische Wende“ von 1982 als Schübe nach rechts voraus. Die mit der Einverleibung und Deindustrialisierung der früheren DDR gesteigerte Massenarbeitslosigkeit galt als Vorwand. Unterm Strich kostete diese Politik seit 1990 die SPD mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder und Wähler. Für Konzernlenker, Wirtschaftsverbände, CDU/CSU und FDP war die Agenda 2010 jedoch die unverzichtbare Weichenstellung für die Herstellung deutscher Wettbewerbsvorteile angesichts der „Globalisierung“. Nicht wenige Stimmen aus Großkapital und Wirtschaftspresse würden eher eine CDU-Minderheitsregierung in Kauf nehmen, als in Koalitionsverhandlungen Abstriche an der Agenda 2010 hinzunehmen, die über deren kosmetische Abfederung hinausgehen würden.
Auch die SPD-Führung will nur kosmetische Abfederung. Daher war absehbar, dass bei Koalitionsverhandlungen nicht viel herauskommen konnte. Das spüren große Teile der SPD-Basis, egal, ob sie dahinter die Interessen des Großkapitals, das Kalkül der CDU/CSU, die SPD „über den Tisch zu ziehen“, oder beides vermuten. Eine starke Minderheit auf dem Parteitag im Dezember wollte die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen von vornherein ausschließen und glaubte den Beteuerungen einer „Ergebnisoffenheit“ der Sondierungen nicht. Juso-Chef Kühnert sprach von einer „tiefen Vertrauenskrise“ in der SPD. Die Parteibasis habe kein Vertrauen, „dass Entscheidungen an der Spitze in ihrem Sinne getroffen werden“. Auf dem Parteitag im Januar konnte die Führung den Beschluss zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen knapp durchsetzen. Die Urabstimmung wird zeigen, wie verbreitet das völlig berechtigte Misstrauen der SPD-Basis tatsächlich ist.
Die GroKo-Gegner haben sich hinter den Jusos gesammelt, die von wenigen alten „SPD-Linken“ (wie Hilde Matheis und Marco Bülow) unterstützt werden. Sie wollen den Weg der SPD in die Marginalität verhindern, den die Schwesterparteien in Griechenland, Frankreich und anderswo bereits gegangen sind. Ihnen schwebt eher ein Weg vor, wie ihn Jeremy Corbyn in Großbritannien, Bernie Sanders in den USA und die Sozialisten Spaniens eingeschlagen haben. Dass die „Erneuerung“ kein Spaziergang wird, wissen sie. Da die SPD-Wählerschaft gespalten sei, rechnet Kühnert mit weiteren Verlusten in der Wählergunst, egal, wie die SPD in der GroKo-Frage entscheide. In den sozialen Medien zeigen die GroKo-Gegner große Nüchternheit in Bezug auf die Reformierbarkeit der SPD. Vieles deutet auf künftige, weitere Umbrüche im Parteiensystem hin. Sie sind auch für außerparlamentarische Bewegungen relevant. Denn die SPD ist in Gewerkschaften, Sozialverbänden, Vereinen und Massenorganisationen der Lohnabhängigen immer noch stark verankert
Quellenangabe:
http://www.unsere-zeit.de/de/5006/positionen/7701, abgerufen am 26.Apr. 2018