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Am 24. August 1992 brannten die Faschisten nicht nur die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber im Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen nieder, sondern griffen auch über mehrere Tage Flüchtlinge, Gegendemonstranten und auch die Polizei und Feuerweh
( picture alliance / Bauer)
In den Monaten vor den Ausschreitungen waren die Themen Flüchtlinge, Asyl und Asylrechtsverschärfungen die alles beherrschenden Themen im Land. In Mecklenburg-Vorpommern verging kaum eine Woche, ohne dass Gruppen von Faschisten Flüchtlingsunterkünfte angriffen oder auf einzelne Ausländer einprügelten, einstachen oder traten. Sie fühlten sich bei ihren Aktionen unterstützt und gedeckt durch die von Medien wie der BILD und Politikern der bürgerlichen Parteien aufgehetzten Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung.
Vier Tage im August
Im August 1992 waren bis zu 300 Personen, vorwiegend Roma aus Rumänien, gezwungen, auf der Rasenfläche vor der Wohnanlage zu campieren, da die Aufnahmekapazität der ZAst überschritten war und es den Verantwortlichen über Wochen hinweg nicht gelang, geeignete Unterbringungsmöglichkeiten zu organisieren. Dies sorgte für eine aggresive Stimmung gegenüber den Asylsuchenden, die bewusst in Kauf genommen wurde. Die eigentlichen Ausschreitungen fanden vom 22.–25. August statt und sind eine Chronologie polizeilicher Kapitulation vor einem „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ – grölenden Mob. Sie zeugen vom aktiven Scheitern politischer Entscheidungsinstanzen, die in diesen Tagen derart gehäuft auftraten, dass es schwer fällt, an etwas anderes als Absicht zu glauben. Zwischen 300 und am Ende bis zu 1000 faschistische Gewalttäter griffen, bejubelt und unterstützt von einer betrunkenen, 3000 Menschen umfassenden Zuschauermenge, drei Nächte hintereinander zunächst die Zentrale Aufnahmestelle und nach deren Evakuierung am 24. August das Wohnheim der Vietnamesen, inklusive der dort befindlichen Frauen, Kinder und Schwangeren an.
Versagen der Polizei
Trotz der in den beiden Rostocker Tageszeitungen kommentarlos abgedruckten offenen Ankündung rechter Bürgerinitiaiven, es werde zu Aktionen kommen, war die Polizei von Anfang an mit einer lächerlich geringen Anzahl von Einsatzkräften vor Ort. In der ersten Nacht standen insgesamt 160 Beamte der randalierenden Menge gegenüber. Obwohl es zu wiederholten, schweren Angriffen auf die eingesetzten Polizeikräfte kam, wurde nur unzureichend Verstärkung angefordert. Von den 130 in der Nacht des 23. August Festgenommenen waren 60 Linke, die eine Solidaritätsaktion für die bedrohten Ausländer durchführen wollten. Ihren traurigen Höhepunkt erreichten die Ausschreitungen in der Nacht des 24. August, als gegen 18.00 Uhr die beiden eingesetzten Hamburger Hundertschaften auf politischen Druck hin abgezogen wurden, kein Ersatz bereitgestellt wurde und die Menschen im Wohnheim damit dem draußen wartenden, „Sieg-Heil“ grölenden Mob preisgegeben wurden. Der Eingangsbereich wurde unter Rufen wie „Wir kriegen euch alle!“ und „Gleich werdet ihr geröstet!“ gestürmt, Türen eingetreten und Fenster zerschlagen. Außer mit Steinen und Flaschenwürfen wurde das Wohnheim, in dem sich zu diesem Zeitpunkt noch über 100 Menschen befanden, verstärkt mit Brandsätzen angegriffen, bis eine der unteren Wohnungen schließlich Feuer fing. Die eintreffende Feuerwehr wurde massiv an den Löscharbeiten gehindert, die eingeschlossenen Menschen im Wohnheim mussten sich selbst über das Dach in benachbarte Gebäude aus dem brennenden Haus retten. Sie wurden schließlich unter Beschimpfungen der Umstehenden in zwei Bussen abtransportiert.
Fehlende politische Aufarbeitung
Bei den politischen Reaktionen auf die Vorfälle zeichneten sich vor allem Unionspolitiker dadurch aus, die Schuld für die Gewaltexzesse einerseits bei der damaligen Asylrechtsprechung und andererseits bei Linken und Autonomen zu sehen. Der damalige Bundesinnenminister forderte als Schlussfolgerung: „Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben.“ Ähnlich äußerte sich auch der Ministerpräsident von MV, Berndt Seite, als er erklärte, die Bevölkerung sei durch den ungebremsten Zustrom von Asylanten überfordert. Noch während der Ausschreitungen verabschiedete sich die SPD von ihrem vormals ablehnenden Kurs gegenüber der Asylrechtsverschärfung. Am 6. Dezember 1992 wurde die Grundgesetzänderung, die das Grundrecht auf Asyl maßgeblich einschränkte, mit den Stimmen von CDU, CSU, FDP und SPD verabschiedet.
Deutschland 2017
Kein Vergessen: Antifaschistinnen und Antifaschisten halten die Erinnerung an die Ereignisse von damals wach – hier bei einer Gedenkaktion zum 20 Jahrestag 2012.
( Gabriele Senft)
Rostock-Lichtenhagen hat sich zweifellos verändert, aber das System, das die schwersten faschistischen Kravalle der Nachkiegszeit hervorgebracht und gefördet hat, nicht. Deshalb gilt es, weiterhin wachsam und aktiv zu sein.
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